Als Julian Nagelsmann vor dem Länderspiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft zum Thema der Woche befragt wurde, verortete er den emotional diskutierten Ausrüsterwechsel des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) von Adidas zu Nike vom Jahr 2027 an als „nicht meine Baustelle. Meine ist das tägliche Geschäft auf dem Platz“. Und dort hat er, das wurde am Samstagabend in Lyon überraschend deutlich, weniger Probleme, als nach den düsteren Niederlagen im November befürchtet. 2:0 siegten die Deutschen und machten Hoffnung, dass der Fußballsommer 2024 doch ein guter werden könnte.
Florian Wirtz gelang nach sieben Sekunden das schnellste Tor der deutschen Länderspiel-Geschichte, Kai Havertz erzielte den zweiten Treffer gleich zu Beginn der zweiten Halbzeit. Genau 83 Tage vor dem Eröffnungsspiel des kontinentalen Championats im eigenen Land traten nicht die Franzosen, sondern die Deutschen wie der nächste Champion auf. „Wir können sehr zufrieden sein“, sagte Toni Kroos im ZDF: „Ich denke, dass wir einen guten Schritt nach vorne gemacht haben, einen wichtigen Schritt nach vorne gemacht haben. Weil es so langsam die letzten Chancen sind, sich Richtung EM ein bisschen Gefühl zu holen.“
Selten hatte es um eine deutsche Aufstellung vor einem Spiel so wenige personelle Fragezeichen wie am Samstag gegeben. Nagelsmann hatte seine Wunschelf schon im Training am Donnerstag durch die Einteilung visuell und am Freitag verbal verraten. Mit dabei waren Marc-André ter Stegen im Tor, der den wieder verletzten Manuel Neuer vertrat und das auch am Dienstag (20.45 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zu Länderspielen und bei RTL) in Frankfurt gegen die Niederlande tun soll, Debütant Maximilian Mittelstädt links hinten, Robert Andrich als Nebenmann von Toni Kroos und Kai Havertz als Spitze.
Ein Rekordtreffer von Wirtz
Der Schiedsrichter hatte nach einer Schweigeminute für die verstorbenen Franz Beckenbauer und Andreas Brehme gerade angepfiffen, da wurde es schon wieder ganz ruhig im Groupama Stadium. Nach acht Sekunden schlug der Ball im französischen Tor ein. Havertz hatte den Anstoß zu Kroos geschoben, der sich um die eigene Achse drehte und den freien Wirtz fand. Der lief ein paar Meter und überraschte Torwart Brice Samba mit seinem Schuss aus 22 Metern. So schnell hatte noch nie ein deutscher Nationalspieler getroffen; Lukas Podolski brauchte 2013 gegen Ecuador neun Sekunden.
Auch danach ließ sich der Spielverlauf gut am Klangteppich unter den knapp 60.000 Zuschauern in Lyon verfolgen. Als Wirtz am linken Flügel durchlief und Musiala fand, dessen Abschluss zu schwach war, war es ganz still (5. Minute). Nagelsmann klatsche dennoch. Dem Bundestrainer gefiel, was er sah. Laut wurde es nur, wenn Kylian Mbappé loszog, doch zunächst hatte der Star aus Paris wenig Fortune. Vielmehr bestimmten die Deutschen die ersten zwanzig Minuten durch ihre Stafetten der ballsicheren Kroos, İlkay Gündoğan, Musiala und Wirtz. Dem Publikum gefiel das nicht; es pfiff.
Erst danach wich die Enttäuschung über die Dominanz des Gastes. Marcus Thuram gab den ersten Torschuss der Franzosen ab (20. Minute). Da wurde es wieder laut, aber es war eher ein Aufstöhnen, dass der Ball doch deutlich über das Ziel hinausschoss als ein Freudenruf über die erste Annäherung. Doch es sollten fast im Minutentakt weitere folgen. Mbappés Rechtsschuss, nachdem sich Joshua Kimmich verschätzt hatte, flog knapp am Tor vorbei (22.), ein Kopfball von Adrien Rabiot flog über ter Stegens Tor (23.), und wiederum Mbappé scheiterte mit einem Lupfer am deutschen Torwart (25.).