In der Fußballarena des FC Bayern München drängelten sich die Fotografinnen und Fotografen an der Seitenlinie – und man konnte den Hype, der in den ersten Wochen der Bundesliga-Saison um den neuen Konkurrenten entstanden ist, schon daran erkennen, wo sie an diesem Abend auf die Hauptdarsteller warteten. Sie standen an dem Fleck, an dem sie Thomas Tuchel, den Trainer der Heimmannschaft, erwarteten, weil sie vor allem sein Gegenüber so gerne fotografieren wollten: Den Mann, der die Dauerherrschaft der Bayern beenden soll.
Mit dunkelblauer Hose, dunkelblauem Pullover und weißen Schuhen spazierte der Spanier Xabi Alonso dann in die Arena, in der er früher für München spielte und die sportliche Herrschaft mit errichtete. Von dem Spieler Alonso durften die Fans des FC Bayern damals immer Großes erwarten. Von dem Trainer Alsonso erwarten die Fans von Bayer Leverkusen nun aber das Größtmögliche: Er soll den deutschen Meister nicht nur in einem Spiel, sondern in einer Saison schlagen. Und mehr als 90 Spielminuten später musste man sagen: Ja, das könnte schon klappen.
Am Freitagabend haben Xabi Alonso und Bayer Leverkusen in der Arena des deutschen Meister durch ein Elfmetertor in der Nachspielzeit noch 2:2 gespielt – und damit nicht nur die Tabellenführung behauptet, sondern eine wahrscheinlich noch wichtigere Erkenntnis geliefert: Dass es für den Hype, der um diese Mannschaft und diesen Trainer entstanden ist, einen guten Grund gibt.
„Es ist ein geiler Freitagabend“
„Für uns auf dem Platz war es intensiv. Hohes Niveau für die Zuschauer, es ist ein geiler Freitagabend“, sagte Leverkusens Jonas Hofmann beim Streamingdienst DAZN. „Die Erwartungen haben beide Mannschaften erfüllt.“ Ähnlich sah es Thomas Müller. „2:2 ist vom Ergebnis verdient, wir hätten vor der Halbzeit noch ein Tor machen müssen, hatten aber auch Glück“, sagte der Nationalspieler der Bayern.
Es ist in dieser Woche über die Krise des deutschen Fußballs diskutiert worden, aber an diesem Abend konnte man dann sehen, wie spektakulär deutscher Fußball auch sein kann. So druckvoll, so dynamisch wie in den ersten zehn bis zwanzig Minuten hat man diese Münchner Mannschaft unter dem Trainer Thomas Tuchel wahrscheinlich noch nie spielen sehen. Sie raubten den Spielern aus Leverkusen den Raum – und dann meistens auch den Ball.
In der dritten Minute schoss der Österreicher Konrad Laimer, den Tuchel als Rechtsverteidiger aufstellte, aus aussichtsreicher Stelle in die Arme des Leverkusener Torhüters Lukáš Hrádecký. In der siebten Minute war’s dann aber schon soweit: Als Joshua Kimmich einen Eckball in den Strafraum flankte, verlängerte der Leverkusener Verteidiger Edmond Tapsoba diesen so unglücklich mit dem Kopf, so dass Harry Kane ihn nur noch mit seinem Kopf ins Tor drücken musste. Man spürte in diesen Minuten die Aura der Bayern.
Doch dann war da ein Bruch im Bayern-Spiel. Auf einmal stürmten die Leverkusen immer wieder mit dem Ball in die Spielhälfte der Münchner. Und als Thomas Müller nah am Strafraum foulte, hatte Bayer Leverkusen die gute Gelegenheit, die es sich dann auch nicht entgehen ließ: Den Freistoß schoss der spanische Außenverteidiger Alejandro Grimaldo sehenswert in den Torwinkel (24.). Ein spektakulärer Treffer, der stellvertretend für die Schönheit und den Spaß am Spiel stand, den dieses Team schon in den ersten drei Spielen ausstrahlte.
Im Anschluss an das 1:1 drängten dann zwar wieder die Bayern, die aber bei Kontern anfällig wurden. In der 31. Minute dribbelte der Stürmer Victor Boniface in den Strafraum, wo ihn der Bayern-Torhüter Sven Ulreich stoppte. In der 32. Minute schoss Boniface den Ball über das Tor. Und in der 33. Minute schoss er den Ball dann endlich ins Tor, doch in dem Moment, in dem Florian Wirtz ihn anspielte, stand er im Abseits.
In den finalen zehn Minuten der ersten Halbzeit war es dann wieder der FC Bayern, der drückte. Erst scheiterte Müller mit einem Flugkopfball (35.), dann Sané mit einem Schuss, den Hrádecký mit den Fingerspitzen um den Pfosten lenkte (43.) und kurz danach stürmte Gnabry in den Strafraum, wo aber auch er den Ball nicht am Torhüter vorbeibringen konnte (45.). Durchatmen!
In der zweiten Halbzeit war dieses Spitzenspiel weiterhin schnell und spektakulär – und das spitzte sich das in der Schlussphase noch zu. Das fing damit an, dass Florian Wirtz den Ball in der 78. Minute an den Pfosten schoss. Das setzte sich damit fort, dass der eingewechselte Bayern-Stürmer Mathys Tel den Ball in der 86. Minute durch den Strafraum passte, wo Leon Goretzka ihn ins Tor knallte – das 2:1.
Und für einen Moment hatte diese Woche diese hübsche Pointe: Dass der Mann, der überraschenderweise nicht für die Nationalmannschaft nominiert worden war, das Topspiel der Bundesliga entschied. Doch dann gipfelte das Drama in der Nachspielzeit, als Alphonso Davies, der Außenverteidiger des FC Bayern, im Strafraum Jonas Hofmann foulte. Der VAR schaltete sich ein: Strafstoß, den der eingewechselte Exequiel Palacios nutzte.