10 Uhr, großer Sitzungssaal des Landgerichts Bonn, Verhandlung der 13. großen Strafkammer. Mehrere Fernsehkameras, Kameraobjektive und zahlreiche Smartphones der Zuhörer richten sich auf die Eingangstür. Zuerst betritt Rechtsanwalt Peter Gauweiler den Gerichtssaal, grüßt freundlich Publikum und Journalisten. Dann folgt die Hauptperson, auf die alle warten: Christian Olearius, inzwischen 81 Jahre alt und Mehrheitseigentümer der Hamburger Privatbank M.M. Warburg.
Eingerahmt von seinen drei weiteren Verteidigern bahnt sich der Angeklagte den Weg zu seinem Platz. Als Olearius von der Vorsitzenden Richterin Marion Slota-Haaf bei der kurzen Vorstellungsrunde angesprochen wird, erhebt er sich halb von seinem Stuhl – als die Richterin seine Personalien mit ihm abgleicht, antwortet er mit einem kurzen, schneidigen: „Jawohl!“
Das Bonner Verfahren ist der mit Abstand prominenteste Cum-ex-Strafprozess dieser Tage. Mit Olearius steht erstmals ein amtierender Miteigentümer einer Bank wegen seiner Beteiligung an Cum-ex-Geschäften vor Gericht. Konkret wirft die Staatsanwaltschaft Köln dem Warburg-Banker 14 Fälle schwerer Steuerhinterziehung in den Jahren 2006 bis 2020 vor. In zwei Fällen blieb es beim Versuch, zu einer Erstattung durch den Fiskus kam es nicht. Durch die Cum-ex-Geschäfte sei dem Fiskus ein Steuerschaden von 280 Millionen Euro entstanden, so die Strafverfolger.
Olearius soll den Cum-ex-Eigenhandel abgesegnet haben
Laut Anklage soll Olearius zentral in die Handelsstrategien der Warburg-Bank eingebunden gewesen sein und den Cum-ex-Eigenhandel abgesegnet haben. Olearius soll sämtliche Abläufe gekannt und die maßgeblichen Entscheidungen getroffen haben. Als Mitglied der Geschäftsleitung unterzeichnetet er die Steuererklärungen, in denen er bewusst Angaben zu vorherigen Abstimmungen mit anderen Beteiligten und Leerverkäufern verschwiegen haben soll. Zudem soll Olearius selbst in Cum-ex-Deals investiert haben. Außerdem werfen ihm die Staatsanwälte vor, er habe die Verwicklung der Bank in den Steuerskandal nach Beginn der Ermittlungen 2016 vertuschen wollen.
Im Falle einer Verurteilung drohen Olearius bis zu zehn Jahre Haft. Wie frühere Cum-ex-Verfahren gezeigt haben, muss er zudem mit der Einziehung eines Millionenbetrags aus seinem Privatvermögen rechnen. Über seine Anwälte hatte er die Vorwürfe immer wieder bestritten. Olearius selbst schweigt zum Prozessauftakt am Montag, in den Verhandlungspausen schirmen seine Anwälte ihn vor neugierigen Fragen und Blicken ab.
Obwohl Olaf Scholz im Cum-ex-Skandal weder selbst beschuldigt noch bisher als Zeuge im Strafprozess gegen Olearius vorgesehen ist, ist seine Person mit dem Verfahren verbunden: Sein Name findet sich mehrfach in der 371 Seiten langen Anklageschrift gegen Olearius. Als das Hamburger Finanzamt im Herbst 2016 hohe Steuerrückforderungen bei der Warburg-Bank geltend machte, wandten sich die Bankgesellschafter Olearius und Max Warburg hilfesuchend an das Rathaus der Hansestadt.
Welche Rolle spielte Olaf Scholz?
Dort regierte Scholz damals als Erster Bürgermeister, sein Finanzsenator war Peter Tschentscher (beide SPD). In der Folge verzichtete die Hamburger Finanzbehörde 2016 auf eine Steuernachforderung in Höhe von 47 Millionen Euro gegen die Warburg-Bank. Aus Sicht des Bankhauses verlief auch 2017 zunächst alles nach Plan, doch eine Intervention des Bundesfinanzministerium verhinderte eine Verjährung der Forderung. Für die Ankläger ist klar: Olearius habe „politischen Druck“ aufgebaut, um eine nachteilige Steuerrückerstattung für die Warburg-Bank zu verhindern.
Ausweislich der Tagebucheinträge von Olearius trafen sich beiden Bankiers 2016 und 2017 mehrmals mit Scholz, was dieser Jahre später zunächst verneinte und sich dann auf Erinnerungslücken berief. Die Frage einer politischen Einflussnahme durch SPD-Politiker auf die Hamburger Steuerverwaltung beschäftigt schon seit zweieinhalb Jahren einen Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft. Vor dem Bundesverfassungsgericht will die Unionsfraktion nun ebenfalls einen Untersuchungsausschuss im Bundestag durchsetzen, um die Rolle von Olaf Scholz in der Cum-ex-Affäre zu beleuchten.
„Ein Regierungschef sollte sich nicht vor den Karren von mutmaßlichen Steuersündern spannen lassen. Dieser Eindruck drängt sich in der Steueraffäre Scholz-Warburg aber auf. Dazu trägt Olaf Scholz mit seinen angeblichen Erinnerungslücken und der Totalblockade bei der Aufklärung maßgeblich bei“, sagte der CDU-Finanzpolitiker der F.A.Z.
Der Prozess birgt politische Brisanz
Zwar gehe es in Bonn nicht um die politische Dimension der Steueraffäre, gleichwohl berge der Prozess größte politische Brisanz. „Der Prozess könnte der Erinnerung des Bundeskanzlers schneller auf die Sprünge helfen, als ihm lieb sein dürfte. Packt Christian Olearius aus, stehen Scholz unangenehme Wochen bevor.“ Peter Gauweiler kündigte am Montagnachmittag an, dass sich sein Mandant zu einem späteren Zeitpunkt im Prozess erklären und auch Fragen beantworten werde.
Bei den Cum-ex-Geschäften verschoben Banken, Broker und Leerverkäufer rund um den Tag einer Hauptversammlung Aktien mit („cum“) und ohne („ex“) Dividendenansprüchen. Im Anschluss ließen sich eine nur einmal angefallene Kapitalertragssteuer mehrfach zurückerstatten. Das Verfahren geht am Mittwoch weiter, dann sollen Olearius’ Anwälte zu Wort kommen(Az. 63 KLs 1/22).