Der Streit über das Ende der deutschen Ukrainehilfen spaltet die Ampelregierung nach dem mühsam erzielten Haushaltskompromiss der vergangenen Woche aufs Neue. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte Finanzminister Christian Lindner (FDP) angewiesen, keine weiteren Militärhilfen zu bewilligen. Geld für Ukrainehilfen könnte allerdings aus den Erträgen von eingefrorenem russischen Zentralbankguthaben kommen. Die G-7-Staaten hatten nach Putins Großangriff etwa 300 Milliarden Dollar dieses Vermögens beschlagnahmt und beschlossen, Kiew aus den Erträgen einen 50-Milliarden-Dollar-Kredit zur Verfügung zu stellen. Scholz hatte dies seinerzeit als „historischen Beschluss“ bezeichnet.
Der Vorsitzende der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe Robin Wagener (Grüne) kritisierte die Pläne der Bundesregierung scharf, keine weiteren Haushaltsmittel mehr für die Ukraine einzuplanen. Sich weiter gegenseitig die Schuld in die Schuhe zu schieben, sei ein „innenpolitischer Reflex“, der dem Ernst der Lage überhaupt nicht angemessen sei, sagte Wagener der F.A.Z. „Man hat den Eindruck, dass es darum geht, Frieden und Freiheit zu opfern, dafür aber schuldenfrei zu bleiben.“ Es gehe nicht nur um die außenpolitische Unterstützung der Ukraine. Russland führe längst einen hybriden Krieg gegen Deutschland. Es gebe Mordanschläge in Deutschland, Cyberangriffe sowie Sabotagehandlungen, durch die Deutschlands Sicherheit im Kern bedroht sei. „Wir sind in einer angespannten Haushaltssituation, aber es gibt keine Bereitschaft, entweder einen Notlagenbeschluss herbeizuführen oder die Schuldenbremse zu reformieren.“ Beides wären Schritte, die helfen könnten, das Problem zu lösen.
Offenbar sei in der SPD weiterhin eine relevante Gruppe der Überzeugung, „dass unsere Hilfen für die Ukraine nicht so wesentlich sind“, dass sie nicht für eine innenpolitische Entschärfung geopfert werden könnten. In der FDP habe es zwar in der Vergangenheit klare außenpolitische Stimmen gegeben. Lindner allerdings ordne alles der Einhaltung einer „reinen haushaltspolitischen Lehre“ unter und gefährde damit Stabilität, Freiheit und Sicherheit. Das sei keine erwachsene Politik. Das Motto „Erst das Land, dann die Partei“ müsse jedenfalls in solchen wesentlichen Fragen gelten, sagte Wagener, der stellvertretendes Mitglied im Verteidigungsausschuss und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags ist.
Kiew kritisiert den mangelnden Willen Deutschlands
Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksij Makejev, warnte die Bundesregierung eindringlich vor einer Mittelkürzung. „An der Militärhilfe für die Ukraine zu sparen, heißt Europas Sicherheit zu gefährden“, schrieb er auf X. „Das wäre fatal und muss verhindert werden. Die Mittel sind da, es ist eine Frage des politischen Willens.“ Makejev, der sich gerade in Kiew aufhält, sagte, die Sicherheit Europas hänge von der Fähigkeit und dem politischen Willen Deutschlands ab, weiterhin eine Führungsrolle bei der Unterstützung der Ukraine zu spielen. Die Ukraine hoffe, dass der Bundestag sein Machtwort für den Haushalt 2025 stark und klar sprechen werde.
Schon im kommenden Jahr soll die militärische Unterstützung nahezu halbiert werden und dann 2027 auf weniger als ein Zehntel der heutigen Summe zusammenschmelzen. Aus Lindners Brief geht laut F.A.S. allerdings hervor, dass es keinen jähen Abbruch bei den Ukrainehilfen geben soll. Vielmehr solle das Geld künftig nicht mehr aus dem Bundeshaushalt kommen, sondern aus den eingefrorenen russischen Zentralbankguthaben. Lindner erwarte, dass die Ukraine mit diesem Geld „einen wesentlichen Teil ihres militärischen Bedarfs decken wird“.
2028 nur noch eine halbe Milliarde Hilfen
Allerdings steht der Beschluss der G-7-Staaten auf tönernen Füßen, weil er rechtlich umstritten ist. Die internationalen Verhandlungen sind im Gange, in den betroffenen Berliner Ministerien herrscht Skepsis, ob das Geld am Ende fließt. Im Kanzleramt aber scheint man fest damit zu rechnen.
Dass die Finanzsperre schon jetzt greift, ist laut F.A.S. allerdings sicher. So sei ein verfügbares Flugabwehrsystem des Typs IRIS-T, das die Industrie nach der Bombardierung einer Kinderklinik in Kiew angeboten habe, nicht mehr geliefert worden, weil die Bundesregierung es nicht finanzieren wollte. Das Verteidigungsministerium wollte sich dazu nicht äußern. Da die Ukrainehilfen für das laufende Jahr schon verplant sind und die Höchstgrenze von vier Milliarden Euro für 2025 schon überbucht ist, sind jetzt schon keine weiteren Investitionen mehr möglich. Für 2026 sind nur noch drei Milliarden vorgesehen, für 2027 und 2028 nur noch eine halbe Milliarde.
Man sei nun an einem Punkt, an dem Deutschland der Ukraine keine Zusagen mehr machen könne. Damit würde eine Wahlkampfforderung der AfD, des BSW und des sächsischen Ministerpräsidenten und dortigen CDU-Vorsitzenden Michael Kretschmer erfüllt, die Unterstützung der Ukraine mit Waffen möglichst bald zu beenden. Im Haushaltsausschuss des Bundestags wurde das der F.A.S. bestätigt.
In einem Brief Lindners, der an Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) gerichtet war, heißt es, „neue Maßnahmen“ dürften nur bewilligt werden, wenn in den Haushaltsplänen für dieses und die kommenden Jahre „eine Finanzierung gesichert ist“. Der Finanzminister mahnt seine Kabinettskollegen außerdem: „Bitte stellen Sie sicher, dass die Obergrenzen eingehalten werden.“ Allerdings sei das Finanzministerium bereit, „die kurzfristige Bereitstellung weiterer Mittel zu prüfen“. Die Voraussetzung dafür sei allerdings, dass der zusätzliche Bedarf gemeldet werde und der Bundestag zustimme. Bisher liege keine „konkrete Bedarfsmeldung vor“. P
istorius allerdings hatte für die von ihm erbetenen knapp vier Milliarden Euro an zusätzlicher Ukrainehilfe für dieses Jahr eine detaillierte Liste aufstellen lassen, die er nach der Intervention des Kanzleramts aber gar nicht erst vorlegte. Der Grünen-Politiker Wagener bezeichnete Lindners Hinweis auf das Fehlen detaillierter Anträge angesichts dessen als „absurd“.