Die Europäische Zentralbank (EZB) und die amerikanische Notenbank Federal Reserve (Fed) könnten im September beide ihre Leitzinsen senken. Während hinsichtlich der Fed zuletzt sogar darüber diskutiert wurde, ob ein größerer Zinsschritt als eine Senkung um 0,25 Prozentpunkte notwendig sein könnte, gilt für die EZB ein Schritt um diesen Wert als recht wahrscheinlich. Die Zinssitzung der EZB findet am 12. September statt, also in gut drei Wochen, die der Fed am 18. September, wenn es nicht zu einer vorgezogenen Entscheidung kommen sollte, worüber zuletzt auch schon spekuliert wurde. Die EZB hatte schon im Juni die Zinsen einmal gesenkt, für die Fed wäre es die erste Zinssenkung in diesem Zyklus.
„Zunahme der Wachstumsrisiken“
Äußerungen aus dem EZB-Rat haben zuletzt die Erwartungen an den Finanzmärkten an eine September-Zinssenkung im Euroraum bekräftigt. Das finnische EZB-Ratsmitglied Olli Rehn sagte auf einer Veranstaltung in New York: „Meiner Ansicht nach hat die jüngste Zunahme der negativen Wachstumsrisiken im Euroraum die Argumente für eine Zinssenkung auf der nächsten geldpolitischen Sitzung der EZB im September verstärkt – vorausgesetzt, dass die Disinflation tatsächlich auf dem richtigen Weg ist.“
Der Notenbanker wiederholte frühere Äußerungen, wonach der Weg der Inflation zum Ziel der EZB von zwei Prozent in diesem Jahr noch „holprig“ werden dürfte. Gleichwohl habe die Notenbank seit dem im Oktober 2022 erreichten Höchststand der Inflation von 10,6 Prozent beträchtliche Fortschritte gemacht. „Die schlechte Nachricht betrifft die Wachstumsaussichten“, sagte Rehn: „Es gibt keine eindeutigen Anzeichen für eine Belebung des verarbeitenden Gewerbes, auch wenn die Energiekosten als Ursache für die schwache Entwicklung weitgehend weggefallen zu sein scheinen.“
Rehns Äußerungen waren die ersten aus dem EZB-Rat seit Beginn der Sommerpause der Notenbank. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Volkswirte erwarten mit sehr großer Mehrheit eine EZB-Zinssenkung um jeweils 0,25 Prozentpunkte im September und Dezember.
Dabei ist die Inflationsrate für den Euroraum zuletzt sogar wieder etwas gestiegen. Sie betrug im Juli 2,6 Prozent, nach 2,5 Prozent im Juni. Eine entsprechende erste Schätzung hat das europäische Statistikamt Eurostat am Dienstag bestätigt.
Die Kerninflation, das ist die Teuerung ohne stark schwankende Preise für Energie, Lebens- und Genussmittel, auf die Notenbanker gern als Indikator für die längerfristige Entwicklung blicken, verharrte auf 2,9 Prozent.
Die Teuerung von Dienstleistungen, an der man relativ früh die Auswirkung höherer Löhne auf die Inflation ablesen kann, belief sich auf 4 Prozent, nach 4,1 Prozent im Mai und Juni. Je nach Euroland sind die Inflationsraten recht unterschiedlich: Die höchste Rate hat nun Belgien mit 5,4 Prozent, die niedrigste Finnland mit 0,5 Prozent. Deutschland liegt mit 2,6 Prozent in etwa im Mittelfeld.
Zuletzt hat es hinsichtlich der Dienstleistungsinflation mehrmals Überraschungen nach oben gegeben, wie EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel im F.A.Z.-Interview hervorgehoben hatte. Bundesbankpräsident Joachim Nagel hatte dem „Tagesspiegel“ gesagt, die EZB werde die Zinsen nun auf jeden Fall nicht per „Autopilot“ senken.
Disinflation kommt nur langsam voran
In ihrem Monatsbericht für August führt die Bundesbank aus, dass der Rückgang der Inflation in den Industrieländern weiter nur langsam vorankomme: „Insbesondere bei arbeitsintensiven Dienstleistungen blieb der Preisauftrieb, auch wegen des vielerorts anhaltend lebhaften Lohnwachstums, hartnäckig hoch.“ Auch in Deutschland stocke der Disinflationsprozess, also das Sinken der Inflationsrate, vorübergehend: „Maßgeblich hierfür war die weiterhin kräftige Verteuerung der Dienstleistungen.“
Gegen Jahresende sei aus heutiger Sicht vorübergehend wieder mit etwas höheren Inflationsraten zu rechnen, schreibt die Deutsche Bundesbank: „Die zuvor negativen Teuerungsraten bei Energie kehren sich dann ins Positive.“ Dies liege vor allem an den rückläufigen Energiepreisen im Schlussquartal 2023. Aber auch die gegenwärtig gedrückten Gewinnmargen bei Mineralölprodukten könnten allmählich wieder steigen: „Die Kerninflation dürfte aufgrund des weiterhin starken Lohndrucks ebenfalls noch auf erhöhtem Niveau verbleiben.“
Vor der EZB-Sitzung wird es aber erst einmal in der kommenden Woche die Inflationszahlen für August geben. Und es spricht anhand der bekannten Daten einiges dafür, dass die Inflationsrate deutlich niedriger als im Juli ausfallen wird. „Das sollte den EZB-Ratsmitgliedern ein gutes Argument für eine Zinssenkung liefern“, meint Marco Wagner, der EZB-Beobachter der Commerzbank. Außerdem seien einige Ratsmitglieder besorgt über die Konjunktur: „Dies dürfte für etliche Ratsmitglieder ein weiteres Argument für eine Zinssenkung sein.“
Die Commerzbank hatte in der vergangenen Woche ihre Inflationsprognose für das kommende Jahr nach unten korrigiert. Sie erwartet nun im kommenden Jahr im Euroraum durchschnittlich 2,5 statt drei Prozent Inflation. Die EZB selbst hatte, umgekehrt, ihre Inflationsprognosen erst im Juni hochsetzen müssen. Für das laufende Jahr rechnet die Notenbank nun mit einer Inflationsrate von 2,5 statt 2,3 Prozent, für das kommende mit 2,2 statt 2,0 Prozent.