Ein vergiftetes Lob ist es, das Nvidia für seine am Mittwochabend veröffentlichten Geschäftszahlen erhalten hat: „Die Aktie war nachbörslich schwach, aber die Story bleibt solide“, sagt Stacy Rasgon, Analyst des Investmenthauses Bernstein. Solide. Das ist nicht das, was Anleger vom am meisten gefeierten Unternehmen der vergangenen zwei Jahre erwarten. Entsprechend sackte der Aktienkurs im nachbörslichen amerikanischen Handel um 7 Prozent ab. Im europäischen Handel lag der Aktienkurs des Chipherstellers mit minus 5 Prozent ebenfalls schwach. „Im Vorquartal stiegen die Umsätze im Jahresvergleich noch um 262 Prozent, im jetzt berichteten Quartal um 122 Prozent, und im laufenden Quartal sollen sie ‚nur noch‘ um 75 Prozent steigen“, sagt Jürgen Molnar, Marktstratege des Brokers Robomarkets. „Was im Grunde genommen lediglich einem Basiseffekt aufgrund der bereits hohen Wachstumsraten geschuldet ist, sorgt bei einer Aktie wie Nvidia, die seit Jahresbeginn um 150 Prozent zugelegt hat, für ein kräftiges Minus.“
Der Börsenhandel ist ein Spiel mit Erwartungen. Bei Nvidia sind diese durch den Erfolg der vergangenen Quartale so hoch geschraubt wie bei kaum einem anderen Unternehmen. Nvidias Umsatz für das zweite Quartal übertraf mit 30,04 Milliarden Dollar die Marktprognose von 28,7 Milliarden Dollar, und der Gewinn des Unternehmens fiel mit 68 Cent je Aktie ebenfalls höher aus als die erwarteten 64 Cent. Doch die Messlatte wurde nur leicht übertroffen und nicht so locker-luftig übersprungen wie zuletzt gewohnt. Auch für das laufende Quartal wird mit 32,5 Milliarden Dollar mehr Umsatz erwartet als die zuvor geschätzten 31,77 Milliarden Dollar. Doch solch marginal bessere Prognosen als erwartet sind für viele verwöhnte Nvidia-Aktionäre offenbar zu wenig.
Dabei sind die Wachstumsraten weiterhin in für die meisten Unternehmen kaum erreichbaren Höhen. Im abgelaufenen Quartal stieg der Umsatz von 13,5 Milliarden Dollar auf die nun gut 30 Milliarden Dollar und der Gewinn von 6,2 auf 16,6 Milliarden Dollar. Der Konzern wächst in neue Sphären und erwartet weiterhin eine operative Gewinnmarge von 75 Prozent. Das Haar in der Suppe: Zuletzt waren es schon mal 78 Prozent.
Kritischer Blick der Wettbewerbsbehörden
Dass sich so etwas kaum dauerhaft halten lässt, dafür ist kein tieferer Blick in die volkswirtschaftlichen oder wirtschaftshistorischen Lehrbücher nötig. Solch monopolartige Margen und exorbitante Milliardengewinne bleiben nicht ohne Reaktion. Amerikas Kartellbehörden untersuchen die starke Marktstellung und prüfen Missbrauch von Marktmacht. Die Chips von Nvidia gelten als wichtigster Baustein für neue Anwendungen zur Künstlichen Intelligenz (KI). Als nahezu einziger Anbieter der leistungsfähigen Chips kann Nvidia fast schon beliebige Preise für seine dringend benötigten Produkte verlangen.
Doch das lassen sich die Kunden nicht gerne gefallen. Zumal nicht, wenn sie Namen tragen wie Amazon, Alphabet und Microsoft. Ebenfalls Unternehmen mit sehr vollen Kassen, die sie ungern zugunsten von Nvidia leeren. „Alle drei haben hohe Investitionen angekündigt, um ihre eigenen KI-Chips herzustellen“, warnen die Analysten von CMC Markets. Noch habe die Nvidia-Aktie ein wahnsinniges Momentum, befinde sich im Aufwärtstrend mit Aussicht auf neue Rekorde. 65 Analysten auf der Finanzdatenplattform Bloomberg raten weiter zum Kauf der Aktie, 6 zum Halten, und keiner empfiehlt den Verkauf. Doch die Kursziele mit Blick auf ein Jahr lassen nur noch 17 Prozent Kursplus erwarten. Verglichen mit 150 Prozent Kursanstieg in diesem Jahr, ist das sehr übersichtlich. Die jüngsten Rückschläge im Kurs verdeutlichen zudem das Risiko, die aufgehäuften Kursgewinne auch schnell wieder verlieren zu können.
Längst nicht mehr alle Beobachter blicken daher optimistisch auf die Aktie. Mit Kursen von 108 Euro lag das Papier am Donnerstag weit unter seinem Rekord von 130 Euro – und der ist mittlerweile gut zwei Monate alt. Eine solch lange Durststrecke ist im steilen Aufstieg seit dem Jahresbeginn 2023 noch nie vorgekommen. Im Börsenwert ist Nvidia damit zeitweise an die Weltspitze gestiegen. Derzeit ist wieder Apple vorne. Vor 5 Jahren lag Nvidia noch auf Rang 93.
Es scheint ein Favoritenwechsel im Gang. Rekorde verzeichnen nicht mehr die glorreichen Sieben, sondern Titel wie Berkshire Hathaway, die Investmentgesellschaft der Börsenlegende Warren Buffett. Deren Fokus ist weit entfernt von den KI-Highflyern. Apple war das einzige sehr große Tech-Investment von Buffett, und er ließ Anfang August wissen, einen Teil seines sehr großen Apple-Aktienpakets verkauft zu haben. Das war damals ein Mitauslöser eines kurzzeitigen Ausverkaufs von Tech-Aktien. Buffetts Meinung zählt viel an den Märkten, aber auch sein ungeheures Vermögen bewegt die Kurse. Derzeit parkt er so viel Geld am Seitenrand wie noch nie, weil ihm attraktive Einstiegsgelegenheiten am Aktienmarkt fehlen. Am Mittwoch stieg die Bewertung seines Unternehmens erstmals über die Marke von einer Billion Dollar.
Absturz von Super Micro Computer
Während Nvidia noch stark wachsende Umsätze und Gewinne berichtet, sieht es bei anderen KI-Hoffnungen düsterer aus. Super Micro Computer, deren Aktie im Frühjahr zeitweise Nvidia den Rang als Shootingstar an der Börse ablief, verschob am Mittwoch die Vorlage seiner Jahresbilanz. Der Aktienkurs sackte um 25 Prozent ab, nachdem er schon zuvor wegen der Vorwürfe der Bilanzmanipulation kräftig gefallen war. Der Spezialist für Rechenzentren und Cloud-Computing, der als großer KI-Profiteur gilt, teilte mit, mehr Zeit zu brauchen, um die „Wirksamkeit der internen Kontrollen“ über seine Finanzberichterstattung zu bewerten. Der Leerverkäufer Hindenburg hatte am Dienstag mitgeteilt, auf fallende Kurse von Super Micro Computer zu setzen wegen einer „Manipulation der Konzernbilanz“ durch das Unternehmen. Die Vorwürfe wurden nicht näher begründet und von Super Micro Computer nicht kommentiert. Der Aktienkurs ist jedenfalls seit dem März-Hoch von 1080 Euro auf nun 380 Euro um satte 65 Prozent gefallen. Kann das Unternehmen die ursprünglichen Erwartungen erfüllen, ist die Aktie derzeit spottbillig. Doch die Zweifel im Markt wachsen.
Dies trifft auch andere Gewinner im Windschatten von Nvidia. Der wichtige Zulieferer ASML aus den Niederlanden war zwischenzeitlich zum wertvollsten Unternehmen im Euroraum geworden. Mittlerweile liegt der Aktienkurs 22 Prozent unter seinem Hoch. Der französische Luxuskonzern LVMH ist wieder die Nummer eins in der Börsenbewertung im Euroraum. In Europa vorne bleibt der Abnehmspritzen-Hersteller Novo Nordisk aus Dänemark. Doch auch hier gehen die Anleger weniger Risiko ein und nehmen Gewinne mit. Der Titel notiert 12 Prozent unter seinem Hoch.
Auch in der Aktie von TSMC, dem Auftragsfertiger von Nvidia aus Taiwan, sind Bremsspuren erkennbar. Die Titel sind zwar als einziger asiatischer Wert in die Riege der zehn wertvollsten Unternehmen der Welt aufgestiegen. Die Kursrekorde sind aber nun auch schon eine Weile her.
Der Blick auf die jüngsten Börsenrekorde zeigt andere Favoriten. Neben Berkshire Hathaway sind auch andere Schwergewichte auf oder nahe ihren Jahreshochs: J.P. Morgan zum Beispiel, die wertvollste Bank der Welt. Oder Walmart, der amerikanische Konsumriese. Auch Gesundheitswerte wie Unitedhealth oder Johnson & Johnson. Oder Procter & Gamble. Die Relation aus Unternehmenswert und Gewinn ist hier sehr viel günstiger als bei den großen Tech-Werten. Diese brauchen zur Rechtfertigung ihrer Bewertung weiter hohes Wachstum mit monopolartigen Gewinnmargen. Das hat zuletzt noch ganz gut geklappt. Tesla gilt jedoch als warnendes Beispiel. Es war der erste Titel unter den glorreichen Sieben, der die Erwartungen nicht mehr nur aus Sicht der Börse zu knapp übertroffen hat. Die Erwartungen wurden sogar mehrfach glatt verfehlt. Mit zeitweise 70 Prozent Kursminus straften die Anleger die Aktie ab. Nvidia gilt als sehr viel besser aufgestellt und der Markt nicht so wettbewerbsintensiv wie die Autoindustrie. Doch die Wachsamkeit vieler Anleger ist erhöht und die Hand immer in der Nähe des Verkaufsknopfs.