McLaren vorne! Schon wieder. Das ist der ultimative Beweis: Dieser Formel-1-Bolide ist auf jedem Streckentyp inzwischen das Maß der Dinge. Vor einer Woche fuhr Lando Norris in Zandvoort auf einer winkeligen, im Vergleich „langsamen“ Piste auf die Pole Position.
Am Samstag wiederholte der Engländer das Kunststück im Speed-Tempel von Monza, wo die Autos mit möglichst flachem Flügel kreisen, um möglichst wenig Luftwiderstand zu leisten. Zweiter wurde Norris‘ Teamkollege Oscar Piastri vor George Russell im Mercedes und den Ferrari-Piloten Charles Leclerc sowie Carlos Sainz. Lewis Hamilton qualifizierte sich im zweiten Mercedes auf Platz sechs.
Weltmeister Max Verstappen schaffte es nur auf Rang sieben vor Sergio Pérez im zweiten Red Bull. Sein Rückstand: 0,7 Sekunden. Eine Welt. Aber offenbar kein Grund, Trübsal zu blasen. „Es ist sehr eng“, sagte Piastri dem TV-Sender Sky, „es wird sehr spannend im Rennen. Man kann auch von weiter hinten hier in Monza Erfolg haben.“
Hülkenberg auf Rang zehn
Der Australier wäre um ein Haar bei der Ausfahrt aus der Box in den Red Bull von Verstappen geprallt. Selbst wenn der Pilot die Ansage des Teams beachtet hat, weil er die Boxengasse nicht einsehen kann, könnte er die Strafe für die „unsichere Ausfahrt“, in der Regel eine Versetzung in der Startaufstellung nach hinten, tragen müssen. Die Streckenstewards luden beide Fahrer zur Befragung am Samstagabend vor.
Weder einen schlechten noch einen guten Eindruck hinterließ Franco Colapinto bei seinem allerdings ersten Qualifying in der Formel 1. Der Argentinier, den der Rennstall Williams gegenüber Mick Schumacher vorzog für die letzten neun Grand Prix der Saison, wurde wegen eines Drifts mit Kiesbettkontakt der Hinterachse 18., brauchte im ersten Durchgang rund 0,5 Sekunden länger als sein etablierter Teamkollege Alexander Albon (9.).
Colapinto ersetzt den viel zu langsamen und deshalb zu Beginn der Woche aus dem Cockpit verbannten Amerikaner Logan Sargeant. Verlass war abermals auf Nico Hülkenberg, dem einzigen Deutschen im Feld. Im Haas reichte es zu Rang zehn.
Der Startplatz ist in Monza nicht so entscheidend. 380 Meter müssen die Boliden bis zur ersten Schikane zurücklegen. Genug Anlauf, im Windschatten vorbeizuziehen, oder eine günstige Position einzunehmen für eine aussichtsreiche Attacke in der nächsten Passage vor der zweiten Schikane.
„Es wird kein einfaches Rennen“
Die Rundreise im Königlichen Park bietet ob der langen Geraden viele Überholmöglichkeiten. Niemand würde deshalb eine Pole Position verschenken. Aber mancher Pilot, selbst wenn er in der zweiten oder gar dritten Startreihe gelandet ist, wie die Ferrari-Crew, schaut noch halbwegs zuversichtlich auf die Abfahrt am Sonntag (15.00 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Formel 1, bei RTL und Sky).
Diesmal scheinen sich viele Chancen zu bieten für einen Sieg. „Es wird kein einfaches Rennen werden, es gibt einige Unbekannte, den Reifenverschleiß“, sagt Norris nach seiner fünften Pole-Position: „Aber ich freue mich drauf.“ Denn die Grand-Prix-Simulationen am Freitag und auch am Samstagvormittag im dritten Training ließen eine Leistungsverdichtung erkennen: McLaren wird trotz Demonstration über eine Runde sehr wahrscheinlich nicht davonfahren wie noch am vergangenen Sonntag, als Sieger Lando Norris in Zandvoort gut 20 Sekunden vor Verstappen ins Ziel kam. Eine Deklassierung.
Der Weltmeister klagte zwar auch in Monza über Probleme beim Einlenken. Aber ein Klassenunterschied ließ sich anfangs nicht erkennen. „Wir verstehen es noch nicht“, sagte Red Bulls Sportdirektor Helmut Marko, „im zweiten Durchgang war die Performance da, im dritten Durchgang plötzlich nicht mehr. Wir müssen das jetzt analysieren. Aber es ist noch nichts verloren. Hier kann man überholen.“
„Wir sind das ganze Wochenende zu langsam“, sagte hingegen Verstappen und klagte: „Ich hatte viel Untersteuern, die Reifen gingen nicht, nichts ging mehr.“ Sein RB 20 scheint auf den Geraden angreifbar. Er zählt auf der Hochgeschwindigkeitspiste mit Tempi bis zu 350 nicht zu den schnellsten Boliden.
Antonelli ersetzt Hamilton
Die Silberpfeile sind fixer. Mercedes scheint auch dank eines neuen Unterbodens wieder auf der Höhe, so wie vor der Sommerpause. In der zu erwartenden Hitze (rund 50 Grad Celsius Streckentemperatur auf dem neuen Asphalt) gilt der Silberpfeil laut den Daten vom Freitag als das beste Auto mit Blick auf das Reifenmanagement, leicht vor Red Bull, deutlicher vor McLaren und Ferrari.
„Ich erwarte auch ein enges Rennen“, sagte Mercedes‘ Teamchef Toto Wolff. Einen Coup in der Heimat von Ferrari zum 74. Auftritt der Formel 1, seit im Königlichen Park um die Weltmeisterschaft (1950) gefahren wird?
Schon am Samstagvormittag hatte der Österreicher, quasi mitten im Herzen des italienischen Motorsports, der Konkurrenz die Schau gestohlen mit einer kleinen Präsentation: Er beförderte nun auch offiziell Andrea Kimi Antonelli vom Formel-2-Piloten zum zweiten Mercedes-Stammfahrer in der nächsten Saison.
Einen Italiener. Den ersten seit Jahren, der, mama mia, nicht im Ferrari, aber in einem Top-Team sein Talent entwickeln darf. Glaubt man Wolff, seinen Ingenieuren, dann steckt in dem jungen Mann, der seit dieser Woche auch unter dem Auge des Gesetzes auf öffentlichen Straßen am Lenkrad sitzen darf, ein besonderes Talent.
Eines, das jedenfalls ins Cockpit von Lewis Hamilton gesetzt wird, dem scheidenden Rekordweltmeister. Der Engländer entdeckte in Monza in diesen Tagen eine Stimmungswandel. Kurz nach seinem bislang letzten Sieg beim Großen Preis von Italien, es war 2018 der fünfte in Monza, pfiffen nicht wenige Ferrari-Fans während der Siegerehrung ihn aus.
„Er hat es fliegen lassen“
Im nächsten Jahr wird er in Rot als erfolgreichster Fahrer der Formel-1-Geschichte (104 Siege) zurückkehren, als neue Hoffnung der Scuderia. Und so verdanken die Italiener dem Briten eine doppelte Freude. Wenn sie am Freitag auch ein bisschen gedämpft wurde, als Antonelli dem W15 aus dem Hause Mercedes beim Einschlag in die Streckenbegrenzung hinter der Parabolica-Kurve vorübergehend Form und Fassung nahm.
Im ersten Training schoss der Sprössling der Mercedes-Fahrerförderung bei Tempo 330 mit einem zu späten Bremsmanöver über das Ziel hinaus. Wolff nahms, nach einem düsteren Blick, sportlich: „Er hat es fliegen lassen.“ Zu einem Zeitpunkt und an einer Stelle, wo die Erfahrenen nicht gleich alles riskieren. „Es ist besser“, fügte Antonellis Chef hinzu, „wenn man jemanden einbremsen muss. Schneller machen ist sehr schwer.“ Das gilt im Moment auch für Red Bull.