Veränderte Vorzeichen in den USA, streitende deutsche Parteien, wirtschaftlicher Druck – im Interview spricht Transformationsforscherin Maja Göpel darüber, was das für den Schutz des Klimas, aber auch für unsere Demokratie bedeutet.
Die Politökonomin Maja Göpel ist Expertin für Nachhaltigkeitspolitik und Transformationsforschung. Sie lehrt als Honorarprofessorin an der Leuphana Universität Lüneburg. Im Interview am Rande der DLD 25 in München unter dem Motto „future positive“ sprach sie mit FOCUS online darüber, wie es auch in unsicheren Zeiten mit einer sich stark verändernden politischen Landschaft gelingen kann, Allianzen zu schmieden. Und warum es jetzt wichtiger denn je ist, dass wir alle für das einstehen, was uns wichtig ist. Sie erklärt auch, warum wir die Bereitschaft der anderen, etwas für den Klimaschutz zu tun, oft als zu gering einschätzen – und daraus falsche Schlüsse für unser eigenes Handeln ziehen.
FOCUS online Earth: Frau Göpel, wie positiv blicken sie gerade in die Zukunft?
Maja Göpel: Ich bin noch stärker rangerutscht an mein Lieblingszitat von Antonio Gramsci: „Der Pessimismus des Intellekts und der Optimismus des Willens.“ Ich finde es eine sehr heftige Zeit, weil grade viele politische Linien in Frage gestellt werden. Insbesondere alles, was mit Nachhaltigkeit zu tun hat. In den USA bricht mit der Wiederwahl von Donald Trump eine neue Zeit unter Vorzeichen einer Kleptokratie an und die weltpolitische Ordnung richtet sich grade neu aus.
Was für Auswirkungen erwarten Sie?
Göpel: Für den Schutz des Klimas und der Meere, für Biodiversität, für Nachhaltigkeit – für all das braucht es multilaterale Kooperation, weil wir es mit globalen Gemeingütern zu tun haben. Diese Themen kriegen wir nur in den Griff, wenn wir wirklich kooperieren. Wenn immer mehr Staaten nicht mehr schützen, sondern besonders schnell ausbeuten wollen, dann wird daraus ein Rennen, wer den Zugriff auf die letzten Ressourcen bekommt. Aber es wird in Summe nicht positiv ausgehen. Das beschäftigt mich sehr.
Welche Optionen sehen Sie dann noch?
Göpel: Jetzt ist es natürlich unsere Aufgabe zu schauen, wie man trotzdem Akteurskonstellationen hinbekommt, die etwas voranbringen können. Wo kann man Mehrheiten bündeln oder regionale Fortschritte erzielen? Wenn dann Vorzeigemodelle entstehen, wie es auch anders geht, kann das die Einladung zur Nachahmung werden: „Das ist die Lösung, mit der die Lebensqualität für die Menschen steigt, ohne sie dafür bei anderen einzuschränken – vielleicht machen wir das doch.“
Die Wahrscheinlichkeit, dass Fortschritte, die in den letzten Jahren erzielt wurden, rückabgewickelt werden, ist gestiegen. Der Trend geht dahin, mit Technologie und Macht das meiste für sich selbst rauszuholen und Vormachtstellungen zu zementieren, so wie wir das bei Trump und Musk sehen. Das macht auch mir große Sorgen. Aber: Genau deshalb ist es jetzt wichtiger denn je, dass jene, die für Gemeinwohl stehen auch aufstehen und sagen: Wir wollen an dem Pfad, den wir eingeschlagen haben, festhalten.
Auf welcher Ebene muss das passieren?
Göpel: Eigentlich auf jeder Ebene: individuell, regional, national. Aber vor allem ist die Europäische Union als gemeinsamer Akteur gefordert – und kann dabei weitere Partnerschaften vertiefen. Vielleicht will ja zum Beispiel Kanada lieber noch enger mit Europa zusammenarbeiten, statt sich von den USA einverleiben zu lassen.
Aktuell wirkt es hierzulande eher so, als wären viele Politiker und Politikerinnen etwas ratlos, wie sie sich jetzt verhalten sollen.
Göpel: Im Prinzip gibt es zwei Möglichkeiten, auf eine solche Krise zu reagieren. Eine davon ist, es immer kleiner zu machen, nur noch auf die eigene Partei und das eigene Vorankommen zu schauen. Dabei blenden die Politiker und Politikerinnen offenbar aus, dass sie in Deutschland immer noch eine Koalition brauchen werden, um zu regieren. In Anbetracht dieser Tatsache ist die Strategie, auf alle draufzuhauen und zu behaupten, dass mit den Plänen der anderen die Welt untergehen wird, ehrlich gesagt ziemlich dumm, denn genau das wollen ja die rechtspopulistischen Kräfte und ihre Unterstützer aus dem Ausland.
Nach der Wahl werden die gleichen Menschen aber Koalitionen schmieden und Kompromisse finden müssen, die von der Mehrheit der Gesellschaft mitgetragen werden. Und das wird schwierig, wenn man die politischen Gegner vorher derart verteufelt hat und alles, was erreicht wurde, für nichtig erklärt hat. Zu behaupten, dass alles wegmüsse, was die Ampel gemacht hat, ist unehrlich. Denn wer nach der Wahl regiert, muss dann natürlich trotzdem Wege finden die Wärmewende hinzubekommen und die Dekarbonisierung etc. Also wird eine Folgeregierung viele Dinge ähnlich machen müssen – nur dass sie durch das Getöse im Wahlkampf Akzeptanz für das Thema verspielt hat und damit die Glaubwürdigkeit für sich selbst aufs Spiel setzt. Das ist auch die Botschaft aus der Wirtschaft: Hört auf mit diesem Zick Zack Kurs. Das schafft nur Konfusion und Unsicherheit und blockiert die klaren Innovationspfade in die Zukunft.
Wirkt es auf Sie, als wäre den handelnden Personen in der Politik bewusst, dass es hier nicht nur um das Wahlergebnis im Februar, sondern auch darum geht, ob bei den übernächsten Wahlen für sie überhaupt noch Mehrheiten möglich sind und für manche Parteien gar, ob es sie dann noch geben wird?
Göpel: Nein, manchmal möchte ich am liebsten einmal laut „Stopp!“ schreien, damit mal kurz alle aufhören sich um jedes falsche Wort zu streiten, und innehalten: was bieten wir für ein Bild in unserer Rolle als Entscheidungsträger:innen? Diese personalisierten Machtkämpfe wirken so kleingeistig und die Häme so unappetitlich. Das ist ein ganz schlechtes Rezept in Zeiten der Unsicherheit. Und wenn Führungsfiguren das so vorleben, dann ist das das beste Mittel, um diese Umgangsformen zu normalisieren. Das lebt Musk ja eindrucksvoll vor in seinen wüsten Beleidigungen aller Personen, die nicht sein Spiel spielen.
Was wäre eine Kommunikationsstrategie, mit der man sich davon lösen und positiv absetzen kann?
Göpel: Inhalte. Dass ich die Dinge, von denen ich weiß, dass sie wichtig sind, auch benenne und darauf politische Wirksamkeit ausrichte. Genau das wünscht sich auch eine große Mehrzahl von Menschen, wenn wir mal in die tiefere Sozialforschung gucken, anstatt medial jedem kurzen Schnappschuss einer oberflächlichen Meinungsumfrage nachzurennen. Dazu gehört für mich: Wir brauchen Europa. Die Erzählung, dass wir national besonders stark sind, geht völlig an der aktuellen Realität vorbei. Dazu muss man nur betrachten, wo Europa und Deutschland hin exportieren und dass unsere Absatzmärkte in China einbrechen, während Trump in der Androhung von knackigen Zöllen sein Lieblingsinstrument der Machtausübung gefunden hat. Der EU-Binnenmarkt, in den mehr als 50 Prozent unserer Exporte gehen, ist unsere Versicherung. Als Europa erreichen wir auch als Absatzmarkt eine relevante Größenordnung und können Standards erhalten. Wenn man auf dieser Ebene konsequenter integriert und harmonisiert, dann würde das einen echten Unterschied machen. Das gilt auch für Energiesicherheit, Verteidigung, Rohstoffpolitik durch Kreislaufwirtschaft oder Regeln für Social Media und Steuerdumping.
Das Thema Klimakrise wurde durch andere Krisen in der öffentlichen Wahrnehmung etwas in den Hintergrund gedrängt…
Nur weil die Klimaveränderung gerade nicht ganz oben auf der Sorgenliste steht, ist sie ja nicht weg. Es ist nachvollziehbar, dass jemand, der sich Sorgen macht, ob die Lebensmittelpreise weiter steigen oder die Miete bezahlbar bleibt, grade stark von diesen direkten Alltagserfahrungen eingenommen ist. Aber alle tieferen Umfragen zeigen, dass den allermeisten Menschen trotzdem klar ist, dass der Klimawandel aufgehalten werden muss. Wenn man Klimaziele jetzt ohne Not einkassiert, verliert man das Vertrauen von mindestens 30 Prozent der Bevölkerung, für die das immer noch eine Top Priorität ist. Ganz abgesehen davon, dass es hier um verbindliche Verträge und Regeln mit europäischen Nachbarn geht und beliebiges Wegräumen dessen, was gerade im Meinungsbild stört, genau kein Gegenmodell zum Populismus bietet.
Wäre es bei einer so gewaltigen Herausforderung wie dem Klimawandel besonders wichtig, die Erfolge hervorzustellen, um den Menschen zu zeigen, dass schon etwas geschafft wurde und dass man darauf aufbauen kann, um diese Herausforderung gestaltbar zu machen?
Göpel: Unbedingt. Und deshalb gilt: Egal welche Farbkonstellation als nächste Koalition herauskommt: Sie sollte auch anerkennen, auf welche Errungenschaften der Ampel sie aufbaut. Natürlich ist auch vieles nicht gut gelaufen, seit die Streitigkeiten zur Normalität wurden. Aber bei der Energiewende wurde extrem viel geschafft.
Was macht Ihnen denn dabei Hoffnung?
Göpel: Wir schauen teilweise mit blinden Zielgrößen auf das, was passiert. Ökonomische Indikatoren allein sagen nicht viel darüber aus, wie sich die Realität dahinter verändert. Ich kann das gleiche Bruttoinlandsprodukt mit einer komplett anderen Art zu wirtschaften erreichen. Deshalb sollte transparenter werden, auf welchen Grundlagen wirtschaftlicher Erfolg fußt und ob diese Grundlagen auch gesichert werden.
Das sehen wir ja gerade bei den sozialen Berufen: viel zu lange wurde nicht drauf geachtet, ob Ausbildung und Attraktivität dieser systemrelevanten Jobs erhalten bleiben, auch weil sie in der preisbasierten Berechnung des BIP nicht so viel beitragen wie die Industrie – aber ohne die Erzieher und Pflegerinnen, Busfahrer und Bäckerinnen funktioniert der Wohlstand auch nicht. Da müssen wir schon genauer hingucken, welche Tätigkeiten und Ressourcen sich hinter dem Zahlenwerk verstecken – dann kann ich auch zielgenauer zeigen, wie die Politik zu Versorgungssicherheit beiträgt und Probleme löst.
Wie groß schätzen Sie die Bereitschaft der Bevölkerung ein, Transformation im Bereich Nachhaltigkeit mitzugestalten?
Göpel: Tatsächlich zeigt die Forschung hier ein interessantes Phänomen, das Pluralistische Ignoranz genannt wird: Typischerweise gehen wir davon aus, dass zum Beispiel bei Klimaschutzmaßnahmen so etwa 30 Prozent der Menschen mitmachen würden. Wenn man die Menschen aber direkt befragt, sind es eher 60 Prozent. Aber wenn man davon ausgeht, dass nur 30 Prozent der anderen mitmachen würden, stellen viele das eigene Engagement zurück, weil es scheinbar keine Mehrheit ist. Deshalb wäre viel gewonnen, wenn man das transparent machen würde, insbesondere weil dann meist um die 70 Prozent sagen, sie würden auch mehr machen, wenn die anderen mitziehen würden. Denn viele kleine Schritte können in der Summe ein Problem lösen, dann macht es Sinn und es fühlt sich gerecht an. Das sind zwei wichtige Voraussetzungen für Zustimmung. Wir müssen es schaffen, diesen positiven Kreislauf anzuspielen statt mit der ganzen negativen Rhetorik und Darstellung in der Hemmspirale festzustecken.
Und wie kriegen wir das hin?
Göpel: Aus meiner Sicht sind 2 Dinge wichtig: zeigen, was die Kosten des Nicht-Handelns sind und warum Veränderung dann eben weniger Verzicht-Verbot-Verlust bedeutet, sondern eine neue Art der Wohlstandssicherung, die mit den Bedingungen des 21. Jahrhunderts zusammenpasst. Und dann eben aufzeigen, dass deutlich mehr Menschen mitmachen würden und auch schon längst unterwegs sind, raus aus der negativen Berichterstattung.
Glauben Sie daran, dass dies in der aktuell aufgeheizten Stimmung gelingen wird?
Göpel: Das liegt letztlich an uns allen. In meinem neuen Buch, das kommende Woche erscheint, geht es um Werte – darunter auch lebenswerten Anstand. Das fängt im Alltäglichen an: mal Danke sagen für das, was wir bekommen, sich nicht gleich anschreien, sondern erstmal zuhören und verstehen, welche Sorgen dahinterstecken. Gerade in unsicheren Zeiten finden wir mehr Sicherheit, wenn rücksichtsvolle Umgangsformen und eine möglichst tatsachengetreue Diskussion erhalten werden. Wenn Wissenschaft und Wahrheit nichts mehr zählen, werden auch Wirkungszusammenhänge unklar und meine Selbstwirksamkeit bricht zusammen. Die Sorge, dass sich nur noch die Stärkeren durchsetzen, wächst dann auch rasant an und all das verhindert Kompromisse und Kooperationen, mit denen wir die Krisen so in den Griff bekommen, dass die Gemeinwohlorientierung vorne steht. Genau mit dieser Angst spielen Rechtspopulisten und autokratischen Kräfte, weil sie damit auch die Regeln verhindern, die ihre Macht beschränken könnten.
Was wünschen Sie sich vor diesem Hintergrund von der Politik?
Göpel: Von den demokratischen deutschen Politiker:innen wünsche ich mir gerade jetzt, dass der Pakt für Anstand und Fairness ernst genommen wird. Er ist ja tatsächlich geschlossen worden, hat dann aber der Realität nicht lange gehalten. Wenn sich Akteure zusammentun und die Tonlage runterfahren, dann können sie auch die Frage stellen: Wer treibt denn diesen agitierten Diskurs und profitiert von diesem Chaos? Deshalb: mit kühlem Kopf klar benennen, dabei aber die Sachebene und verbindende Lösungen suchen. Dann machen sich auch andere Emotionen breit. Aggressive Wut kann keine Brücken bauen, zuversichtliche Kooperation schon. Und die braucht eben auch verlässliche Regeln.