In der Affäre um ein antisemitisches Flugblatt geht der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) davon aus, dass alle Gründe für seine mögliche Entlassung ausgeräumt sind. Er habe alle 25 Fragen beantwortet, die ihm Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zu den Vorwürfen gestellt habe, sagte Aiwanger der Zeitung „Bild am Sonntag“: „Ich weiß nicht, zu welcher Einschätzung der Ministerpräsident kommt, aber ich sehe nach meinen Antworten überhaupt keinen Grund für einen Rücktritt oder eine Entlassung.“
Die Koalition mit der CSU möchte der Freie-Wähler-Chef auch in der kommenden Legislaturperiode weiterführen: „Ich wünsche mir, dass es nach den Wahlen eine Fortsetzung der Koalition von uns mit der CSU geben kann, natürlich hängt das aber vom Wahlergebnis ab. In Bayern wird am 8. Oktober ein neuer Landtag gewählt.
Der „Bild am Sonntag“ sagte Aiwanger, bei seinen Wählern sei „die Empörung über diese Kampagne“ groß. „Ich habe mich für Fehler von mir entschuldigt. Wir müssen uns jetzt wieder der Tagesarbeit für unser Land widmen können“, erklärte er. Wenn diese „Hexenjagd“ nicht aufhöre, werde niemand mehr in die Politik oder in andere Führungspositionen gehen, „aus Angst, dass seine Vergangenheit auf jeden schlechten Witz hin durchleuchtet wird“.
FDP fordert Veröffentlichung von Fragen und Antworten
Am Freitagabend übermittelte Aiwanger die schriftlichen Antworten auf 25 Fragen, die ihm der bayerische Ministerpräsident Söder gestellt hatte. Die Staatskanzlei bestätigte den Eingang. Diese würden nun „in Ruhe“ ausgewertet, hieß es am Samstagmorgen aus CSU-Kreisen.
Nun muss Söder entscheiden, ob er Aiwanger gut einen Monat vor der Landtagswahl entlässt. Zum Inhalt der Antworten war zunächst noch nichts bekannt. Auch die Fragen, die die Staatskanzlei an den Chef der Freien Wähler geschickt hatte, waren nicht veröffentlicht worden. Das müsse sich jetzt schnell ändern, fordert die oppositionelle FDP im Landtag.
„Die Bürgerinnen und Bürger Bayerns müssen sich selbst ein Bild darüber machen dürfen, was ihr stellvertretender Ministerpräsident zu den öffentlichen Anschuldigungen gegen ihn zu sagen hat“, sagte der Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion, Martin Hagen. Es solle kein exklusiver Briefwechsel zwischen CSU und Freien Wählern sein. „Transparenz ist hier ganz wichtig, damit das Vertrauen in die Staatsregierung keinen nachhaltigen Schaden nimmt. Deshalb erwarte ich, dass Ministerpräsident Söder die Fragen und Antworten zeitnah öffentlich zugänglich macht.“
Wann Söder eine Entscheidung zu Aiwanger bekanntgeben wird, ist bislang unklar. Freie-Wähler-Generalsekretärin Susann Enders sagte, es werde keinen Landtagswahlkampf ihrer Partei „ohne Hubert Aiwanger an der Spitze“ geben.
Bevölkerung laut Umfrage in Rücktrittsfrage gespalten
Aiwanger selbst hatte sich am Donnerstag erstmals öffentlich entschuldigt, einen Rücktritt aber abgelehnt. Er beklagte eine politische Kampagne gegen sich und seine Partei. Die „Süddeutsche Zeitung“ hatte vergangenes Wochenende über ein antisemitisches Flugblatt berichtet, das zu seiner Schulzeit in Aiwangers Schultasche gefunden worden war. Den Vorwurf, das Flugblatt verfasst zu haben, weist Aiwanger zurück. Sein älterer Bruder erklärte nach Bekanntwerden des Vorwurfes, es verfasst zu sein.
Gegen Aiwanger waren zuletzt weitere Anschuldigungen laut geworden. „Weitere Vorwürfe wie menschenfeindliche Witze kann ich aus meiner Erinnerung weder vollständig dementieren noch bestätigen“, sagte Aiwanger dazu am Donnerstag. Auf einen zuvor von der Zeitschrift „Spiegel“ erhobenen Vorwurf ging er nicht ein. Demnach soll eine frühere Mitschülerin eidesstattlich versichert haben, dass Aiwanger einmal einen Schulordner mit in den Unterricht gebracht habe, auf dessen Innenseite eine rassistische Beschimpfung gestanden habe.
Laut einer Umfrage sind die Deutschen in der Frage gespalten, ob Hubert Aiwanger als bayerischer Wirtschaftsminister zurücktreten sollte. Einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Insa für die „Bild am Sonntag“ zufolge sind 38 Prozent für einen Rücktritt und 39 Prozent dagegen. 23 Prozent der Befragten antworteten mit „weiß nicht /keine Angabe“.
Wähler von SPD und Grünen sind laut der Umfrage zu mehr als 60 Prozent für einen Rücktritt. Bei den Unions-Anhängern wollen 36 Prozent einen Rücktritt, 50 Prozent sind dagegen.
Unabhängig vom Fall Aiwanger sind laut der Umfrage 47 Prozent dagegen, dass Menschen, die in ihrer Schulzeit rechtsextreme Einstellungen vertreten haben, ein politisches Spitzenamt ausüben dürfen. 33 Prozent finden, das solle dennoch möglich sein.