Zu den hervorstechenden Merkmalen des Wolfs zählen seine rasche Auffassungsgabe sowie eine hohe Anpassungsfähigkeit. Auf die deutsche Wolfspolitik trafen diese beiden Attribute bisher nicht zu. Denn schon seit Jahren ist offenkundig, dass der bestehende Ansatz angesichts der stark steigenden Zahl von Wölfen von der Realität überholt wird. In enger Taktung werden große Risse gemeldet, und in der ländlichen Bevölkerung werden Bilder von zerfleischten Schafen und Rindern mit heraushängenden Gedärmen herumgereicht. Die gesellschaftliche Sprengkraft, die davon ausgeht, wurde lange unterschätzt. Die Rückkehr eines Spitzenprädators führt nicht nur zu handfesten Nutzungskonflikten mit Weidebesitzern und Schäfern. Sie weckt in der Bevölkerung auch tief liegende Ängste.
Nun deutet sich eine Wende in der Wolfspolitik an. Zwischen den besonders betroffenen Ländern im Norden und Osten Deutschlands, der Bundesregierung und der EU-Kommission werden gegenwärtig Gespräche über die verflochtene Regulatorik geführt. Die Einsicht, dass es so wie bisher nicht weitergeht, speist sich aus mehreren Quellen: Inzwischen behauptet kaum jemand mehr, dass der Wolf weiterhin vom Aussterben bedroht sei. Einen „günstigen Erhaltungszustand“ gemäß der FFH-Richtlinie der EU dürfte die Art in weiten Teilen Deutschlands längst erreicht haben.
Ebenso wichtig dürften zwei politische Faktoren sein: Die Rückkehr der Wölfe wurde in der vergangenen Dekade für die Weidetierhalter mit Entschädigungen für gerissene Tiere sowie Zuschüssen für Herdenschutzzäune erträglicher gestaltet. Solche Zäune bieten bei fachgerechter Handhabung einen gewissen Schutz. Die zuständigen Politiker müssen nun jedoch erkennen, dass sie für einen groß angelegten Herdenschutz angesichts der schlechteren Wirtschaftslage und neuer politischer Prioritäten die erforderlichen Finanzmittel nicht mehr bekommen. Zumal, wenn es in der Debatte nicht mehr bloß um Schafe geht, sondern zunehmend auch um Weiderinder.
Es geht auch um Wählerstimmen
Neben dem Geld geht es aber auch um Wählerstimmen. Die steigende Zahl der Wölfe führt in ländlich-agrarischen Milieus zu großem Verdruss und verstärkt dort die Fliehkräfte in Richtung AfD. Inzwischen können sich sogar die Grünen nicht mehr dem Druck entziehen, an diesem durch Düngeverordnung und Co ohnehin strapazierten Frontabschnitt für Entlastung zu sorgen. Es ist allerdings nicht abschließend erkennbar, inwieweit die grünen Minister im Bund und in den Ländern gegenwärtig bloß ihre Rhetorik bezüglich der Wölfe verändern, um es in der Sache bei geringfügigen Zugeständnissen zu belassen.
Erforderlich wäre deutlich mehr. Die Wolfspolitik sollte schon heute auf ihr langfristiges Ziel ausgerichtet werden: das Management einer Raubtierart, die erfolgreich in eine tiefgreifend veränderte Kulturlandschaft zurückgekehrt ist. Eine Regulierung des Wolfsbestands dürfte dabei unausweichlich sein. Denn es darf bezweifelt werden, dass sich die Zahl der Wölfe auf natürlichem Weg auf einem allseits erträglichen Niveau einpendelt.
Ohne Gegenmaßnahmen dürften die Wölfe vielmehr lernen, wie sie noch mehr Weidetiere reißen oder auch anderweitig in suburbanen und urbanen Räumen an Nahrung gelangen. Ein wahlloses Abschießen von Wölfen, wie es bereits heute vermutlich häufiger illegal erfolgt, ist kontraproduktiv, weil dadurch Rudelstrukturen zerstört werden und es in der Folge oft noch mehr Wölfe gibt. Es geht stattdessen um eine strategisch gesteuerte Begrenzung der Tierzahlen sowie darum, durch den raschen Abschuss von Wölfen mit auffälligem Verhalten eine gewisse Verhaltenslenkung zu erreichen.
Was wird aus den Deichen?
Eine besondere Herausforderung werden die Almwirtschaft sowie die Deiche bilden, die zu ihrer Befestigung von Schafen beweidet werden. Möglicherweise wird man verhindern müssen, dass sich in solchen Regionen dauerhaft Wolfsrudel ansiedeln. Der Herdenschutz wird allerdings auch dort unerlässlich sein, denn einzelne Wölfe legen große Strecken zurück und werden immer wieder auch dorthin vorstoßen.
Wenn die Politik verhindern will, dass die Existenz des Wolfes und damit der Artenschutz in Deutschland grundsätzlich infrage gestellt wird, sollte sie rasch und beherzt handeln. Konflikte zwischen Mensch und Wolf wird es zwar weiterhin geben. Irgendwann dürfte aber eine Gewöhnung an den Rückkehrer einsetzen. Dann dringt vielleicht auch die Einsicht stärker durch, dass bissige Hunde oder angetrunkene E-Scooter-Fahrer für den Menschen statistisch weitaus gefährlicher sind als Wölfe, der Schutz von Weidetieren über viele Jahrhunderte ein selbstverständlicher Teil der Zivilisation war und in anderen Ländern die Koexistenz mit dem Wolf auch ohne steuerfinanzierte Zaunbürokratie gelingt.