Im Angesicht des Krieges mit der radikalislamischen Hamas hat Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Opposition zur gemeinsamen Bildung einer „Regierung der nationalen Einheit“ aufgerufen. Diese solle „ohne Vorbedingungen“ erfolgen, sagte Netanjahu am Montagabend in einer Fernsehansprache.
Zuvor hatte die Regierung die „vollständige Belagerung“ des Gazastreifens angeordnet und die Wasserversorgung des Palästinensergebiets gekappt. Die Hamas drohte derweil mit der Tötung israelischer Geiseln. Die Zahl der Todesopfer stieg auf mehr als 800 auf israelischer und mehr als 680 auf palästinensischer Seite, Tausende weitere Menschen wurden verletzt.
Ziel der gemeinsamen Regierung müsse neben der Wiedererlangung der vollständigen Kontrolle über das von der Hamas angegriffene israelische Territorium und der „Vernichtung“ der noch in Israel versteckten „Terroristen“ ein „massiver“ Angriff auf die Hamas „mit beispielloser Kraft“ sein, sagte Netanjahu in seiner Ansprache. Gleichzeitig müssten die anderen „Fronten“ gegen die libanesische Hisbollah-Miliz im Norden sowie im palästinensischen Westjordanland gestärkt werden.
„Keinen Strom, keine Lebensmittel” im Gazastreifen
Im dicht besiedelten Gazastreifen werde es „keinen Strom, keine Lebensmittel, kein Wasser, kein Gas“ mehr geben, sagte Israels Verteidigungsminister Joav Gallant zur angeordneten „Belagerung“ des Palästinensergebiets. „Was die Hamas erleben wird, wird schwer und schrecklich sein. Wir werden den Nahen Osten verändern“, sagte Netanjahu.
Die Hamas hatte am Samstag Tausende Raketen auf Israel abgefeuert, gleichzeitig waren Hunderte Hamas-Kämpfer in den Süden Israels eingedrungen und hatten Zivilisten und Soldaten erschossen. Hamas-Kämpfer verschleppten nach jüngsten Angaben der israelischen Regierung zudem etwa 150 Menschen aus Südisrael in den Gazastreifen. Unter den Entführten sind nach Angaben aus dem Auswärtigen Amt offenbar auch Menschen mit doppelter israelischer und deutscher Staatsbürgerschaft.
Die Hamas drohte am Montag mit der Tötung der Entführten, sollte Israel weiterhin unangekündigt Luftangriffe im Gazastreifen führen. „Auf jeden unangekündigten Angriff auf unser Volk werden wir mit der Hinrichtung einer der zivilen Geiseln antworten“, erklärten die Essedin-al-Kassam-Brigaden, der bewaffnete Arm der Hamas, am Montagabend. Verhandlungen über einen Gefangenenaustausch schloss die Hamas vorerst aus. Aus informierten Kreisen verlautete jedoch, Katar bemühe sich um die Vermittlung eines Austausches von Gefangenen zwischen beiden Seiten.
Vorbereitung auf israelischen Bodeneinsatz
Die israelische Armee mobilisierte inzwischen 300.000 Reservisten für den Einsatz „Eiserne Schwerter“ gegen die Hamas. Tieflader transportierten Panzer in den Süden Israels Richtung Gazastreifen. Bewohner des Palästinensergebiets bereiteten sich derweil auf einen befürchteten israelischen Bodeneinsatz vor.
Die Hamas feuerte abermals Raketen auf Ziele in Israel ab, in Tel Aviv und in Jerusalem gellten die Sirenen, während die Luftabwehr im Einsatz war. Israel bombardierte hunderte weitere Ziele im Gazastreifen.
Aus dem Libanon drangen am Montag Angreifer nach Israel ein. Die israelische Armee tötete nach eigenen Angaben „bewaffnete Verdächtige“ und flog Angriffe in der Grenzregion zum Libanon. Dabei wurden nach Angaben der pro-iranischen Hisbollah-Miliz drei ihrer Mitglieder getötet. Als Vergeltung seien zwei israelische Kasernen mit Lenkraketen und Granaten angegriffen worden, erklärte die Hisbollah.
Akt der „Solidarität“ der Hisbollah
Bereits am Sonntag hatte die Hisbollah Israel vom Libanon aus mit Artillerie und Lenkraketen angegriffen und den Angriff als Akt der „Solidarität“ mit der palästinensischen Hamas bezeichnet.
Bei einer Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats verurteilten mehrere Mitgliedstaaten den massiven Angriff der Hamas. Die Reaktion erfolgte jedoch nicht einstimmig, wie der US-Botschafter bei der UNO, Robert Wood, mit Verweis auf Staaten wie Russland beklagte. Der UN-Menschenrechtsrat gedachte der Opfer mit einer Schweigeminute.
Die EU kündigte als Reaktion auf den Hamas-Angriff die Prüfung sämtlicher Entwicklungshilfen für die Palästinenser an. Am Dienstag beraten die EU-Außenminister in einer Krisensitzung über die Lage in Nahost. Der Iran wies unterdessen den Vorwurf einer Beteiligung am Großangriff der Hamas zurück. Der iranische Präsident Ebrahim Raisi hatte den Hamas-Angriff am Sonntag als berechtigte Selbstverteidigung der Palästinenser bezeichnet.