Er ist ein Mann, bei dem man unbedarft sofort die berühmte Frage stellt: Was macht eigentlich . . .? In diesem Fall: Thorsten Schäfer-Gümbel, kurz TSG. Seit der SPD-Mann, der mehrmals erfolglos nach dem Amt des hessischen Ministerpräsidenten griff, die große politische Bühne verlassen hat, ist es ruhig um ihn geworden. Die großen Schlagzeilen lassen sich mit Koalitionskrach, Parteizwist und Machtkämpfen füllen, nicht aber mit internationaler Entwicklungsarbeit.
Genau dort jedoch ist der 54 Jahre alte Mittelhesse, der schon in jungen Jahren Entwicklungshelfer werden wollte, seit geraumer Zeit aktiv. In dem bundeseigenen Unternehmen GIZ, der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, stieg Schäfer-Gümbel 2019 als Vorstandsmitglied ein. Seit genau einem Jahr steht er als Vorstandssprecher an der Spitze der Staats-GmbH.
Die Vorstellung liegt nicht fern, dass damit die richtige Person den richtigen Posten besetzt hat. Er bekleidet ein Amt, das keinen Charismatiker benötigt, sondern einen Macher. Die GIZ ist nämlich, in wirtschaftlichen Dimensionen gesehen, ein ziemlich großer Konzern. Mehr als 25.000 Beschäftigte sind in rund 120 Ländern präsent.
„Als Dienstleister der internationalen Zusammenarbeit für nachhaltige Entwicklung und internationale Bildungsarbeit engagieren wir uns weltweit für eine lebenswerte Zukunft“, lautet etwas verquast formuliert die offizielle Tätigkeitsbeschreibung. Konkret geht es um eine breite Projektpalette. Sie reicht von beruflicher Bildung bis zu städtischer Mobilität, von energieeffizienten Moscheen in Marokko bis zum klimafreundlichen Kaffeebohnenanbau in Costa Rica.
Stets im Vordergrund
Im vergangenen Jahr betrug das GIZ-Geschäftsvolumen rund vier Milliarden Euro. Davon entfielen 3,8 Milliarden Euro auf Bundesministerien, in erster Linie auf das Ressort von Entwicklungsministerin Svenja Schulze, und andere öffentliche Auftraggeber aus Deutschland. Zudem arbeitet das in Bonn und Eschborn ansässige Unternehmen für internationale Auftraggeber wie die Europäische Union und mehrere UN-Organisationen. Auch nationale Regierungen aus der ganzen Welt beauftragen die GIZ nach eigenen Angaben direkt, ebenso wie Privatfirmen und Stiftungen.
Ein wenig politisch ist Schäfer-Gümbels Arbeit also durchaus noch. Sie findet aber – bei aller Projekttransparenz, die das Unternehmen für sich in Anspruch nimmt – eher im Hintergrund statt. Bis 2019 stand Schäfer-Gümbel als Landespolitiker stets im Vordergrund. Das lässt sich schon an der Tatsache ablesen, dass es von ihm bis zu diesem Jahr reichlich Fotos gibt, seitdem jedoch neue Bilder Mangelware sind.
Das grellste Blitzgewitter zog der im bayerischen Oberstdorf als Sohn eines Zeitsoldaten und Lastwagenfahrers geborene, aber in der Gießener Nordstadt in einfachen Verhältnissen aufgewachsene Mann seit 2008 auf sich. Schon vorher saß der Unipolitikabsolvent für die SPD als Abgeordneter im Wiesbadener Landtag und wirkte dort als „Vordenker im Hintergrund“ – für eine Partei, die ihm nach Einschätzung von Beobachtern den sozialen Aufstieg ermöglichte.
Zwiespältiges Resümee
Über die hessischen Grenzen hinaus zu überregionaler Bekanntheit schaffte es Schäfer-Gümbel als Nachfolger von Andrea Ypsilanti. Für die seinerzeitige hessische Spitzenkandidatin arbeitete er als Berater im Landtagswahlkampf – doch ein von ihr angepeilter Regierungswechsel scheiterte, und aus dem Vertrauten wurde ein neuer Spitzenkandidat, der sich von ihr distanzierte. Schäfer-Gümbel überraschte viele, die ihn als Verlegenheitslösung betrachteten, damals sogar mit seinem rhetorischem Talent – ein „linker Prediger, der ganze Säle aufpeitschen kann“, wie zu lesen war. Umso überraschender offenbar mit Blick auf das vermeintlich unscheinbar anmutende Äußere des Politikers.
Unter dem Strich fällt das Resümee für Schäfer-Gümbels Politik in diesem Jahrzehnt zwiespältig aus. Er hat sich zwar als Kümmerer in einer zerrissenen Partei profiliert. Doch seine Versuche, an die Macht zu gelangen, scheiterten gleich in drei Landtagswahlen.
Jetzt sitzt er zwar ganz oben, aber an ganz anderer Stelle. An einer wiederum, die mit Blick auf die wachsende Unsicherheit in der Welt wichtiger werden könnte. Entsprechend will der GIZ-Chef die Gesellschaft neu aufstellen. Vor dem Hintergrund zahlreicher Krisen solle die Entwicklungszusammenarbeit digitaler und strategischer werden, sagte er im Juli. „Frieden braucht Entwicklung. Wir stellen uns strategisch und mit unseren Leistungen neu auf.“ Die Digitalisierung sei Treiber für Entwicklung und echte Chance, um die UN-Nachhaltigkeitsentwicklungsziele zu erreichen. Da blitzt der Politiker hervor, den Schäfer-Gümbel noch längst nicht abgestreift hat.