Dieser Tage ist ein Buch erschienen, das den nüchternen Titel „Exportweltmeister“ und den provozierenden Untertitel „Geschichte einer deutschen Obsession“ trägt. Sein Verfasser, der Bayreuther Wirtschaftshistoriker Jan-Otmar Hesse, schildert, einen weiten Bogen seit dem Kaiserreich spannend, die Bedeutung des Exports für Deutschland nicht nur aus der fraglos eminenten wirtschaftlichen Sicht. Hesse erkennt in der Betonung der Rolle Deutschlands als Exportweltmeister den „Ausdruck und sprachlichen Höhepunkt eines nationalstaatlichen Diskurses, eines ‚banalen Nationalismus‘, der über einen sehr langen historischen Zeitraum um die Exportstärke und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft herum errichtet wurde. Das Ökonomische trat dabei an die Stelle der nach den Weltkriegen verlorenen politischen und militärischen Macht.“
Über Jahrzehnte verband sich diese Ableitung nationalen Selbstbewusstseins aus ökonomischen Größen wohl in erster Linie mit dem Stolz auf die D-Mark, die nach dem Zweiten Weltkrieg eine steile Karriere vom „Besatzungskind zum Weltstar“ (so ein Buchtitel Hans Roepers, eines früheren Wirtschaftsredakteurs der F.A.Z.) hingelegt hatte. Doch schon vor dem Ende der D-Mark fand auch der Exportboom gebührende Aufmerksamkeit.
Seit 2008 nicht mehr Meister
Dabei kam es irgendwann auf ökonomische Präzision nicht mehr an; die nationale Überhöhung eines Sachverhalts stand schon stets einer nüchternen Analyse entgegen. Die Rolle eines „Exportweltmeisters“, also des exportstärksten Landes der Welt, besaß die Bundesrepublik erstmals im Jahre 1986 und letztmals im Jahre 2008; danach wurde sie von der Volksrepublik China entthront. Das war nicht schlimm; schließlich ist die chinesische Wirtschaft viel größer als die deutsche. Aber die Deutschen waren nicht mehr Meister.
Anschließend wurde in der deutschen Öffentlichkeit daher kurzerhand der Überschuss der Exporte über die Importe zum viel beobachteten Indikator – üblicherweise in der Abgrenzung der Leistungsbilanz, die neben den Bilanzen des Außenhandels mit Gütern und Dienstleistungen noch mehrere kleinere Position wie die Bilanz der Einkommen aus Erwerb und Vermögen enthält. Der deutsche Leistungsbilanzüberschuss ist über viele Jahre im internationalen Vergleich sehr hoch gewesen. Wiederum konnte man sich einer Meisterschaft erfreuen.
Hesse zeigt eindrücklich, wie der Export im Laufe der Zeit von deutschen Politikern immer wieder zu nichts weniger als einer Frage von Sein oder Nichtsein deklariert wurde. Im Jahre 1891 erklärte Reichskanzler Leo von Caprivi, der Nachfolger Otto von Bismarcks: „Wir müssen exportieren; entweder wir exportieren Waren, oder wir exportieren Menschen. Mit dieser steigenden Bevölkerung ohne eine gleichmäßig zunehmende Industrie sind wir nicht in der Lage, weiter zu leben.“ Hesse erkennt hierin „zentrale Argumente einer Argumentationskette, mit der die Exportorientierung der deutschen Wirtschaft in den folgenden 130 Jahren immer wieder begründet wurde. Sie könnte durchaus als Beginn einer sich selbst verstärkenden Exportorientierung angesehen werden, der Beginn einer sich selbst verstärkenden Exportorientierung in Wirtschaft und Politik.