Mit einem Auftritt beim virtuellen G-20-Gipfel hat Wladimir Putin ein Comeback auf der Weltbühne versucht. Es war das erste Mal seit der russischen Invasion in der Ukraine, dass der Präsident am Mittwoch mit den Vertretern der westlichen Industrieländer an einer Konferenz teilnahm. Beim G-20-Gipfel im September in Neu Delhi hatte er sich durch seinen Außenminister Sergej Lawrow vertreten lassen, auch weil gegen ihn ein Haftbefehl des internationalen Strafgerichtshofs vorliegt. Nun kam ihm entgegen, dass der zweite Gipfel am Mittwoch nur per Videoschalte stattfand. Er werde die russische Sicht auf die „zutiefst instabile Weltlage“ darlegen, hatte Putins Sprecher angekündigt.
In seiner Rede erhob Putin dann vor allem bekannte Vorwürfe wie den, dass die Industrieländer für die Wirtschaftsprobleme verantwortlich seien. Putin sprach in seinem Redebeitrag vom Ukrainekrieg als einer „Tragödie“ und sagte, „der Tod von Menschen“ müsse unweigerlich „erschüttern“, wies aber die Verantwortung dafür von sich und relativierte seinen Angriff. Einerseits warf er einem „Kiewer Regime“ neuerlich einen „Krieg gegen sein eigenes Volk im Donbass“ vor, anderseits fragte er rhetorisch, ob die „Vernichtung der Zivilbevölkerung in Palästina, im Gazastreifen, heute nicht erschüttert“. Ärzte müssten Kinder ohne Narkose operieren, „erschüttert das nicht?“
Putin nutzt, dass die Industrie- und Schwellenländer, die in der G 20 an einem Tisch sitzen, in Fragen wie dem Nahostkrieg teilweise unterschiedliche Auffassungen haben. Während des ebenfalls virtuell stattfindenden Gipfels der BRICS-Staaten hatte er am Dienstag neuerlich die Schuld an der Nahostkrise einer gescheiterten US-Diplomatie zugeschoben. Im globalen Süden, den Putin für Russland gewinnen will, überwiegt die Solidarität mit den Palästinensern.
Gastgeber Indien ist mit seiner Verteidigung Israels dort die Ausnahme. In seiner Begrüßungsrede kam Indiens Ministerpräsident Narendra Modi auf die Lage im Nahen Osten zu sprechen. Terrorismus und der Tod von Zivilisten seien inakzeptabel. Es müsse sichergestellt werden, dass der Israel-Hamas-Konflikt sich nicht zu einem regionalen Konflikt ausweite. „Wir heißen die Neuigkeiten über die Freilassung von Geiseln willkommen. Wir hoffen, dass bald alle Geiseln freigelassen werden“, sagte er zu der Einigung vom Mittwochmorgen.
Mit Spannung war erwartet worden, wie die westlichen Teilnehmer auf Putins Rede reagieren und ob sie ihm überhaupt zuhören würden. In den ersten Monaten nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine hatte es noch geheißen, man wolle Putin in keinem Fall eine Bühne geben. Es wurde gar ein Ausschluss Russlands aus der Gruppe der 20 wichtigsten Wirtschaftsmächte erörtert.
Mit seinem Auftritt wollte Putin zeigen, dass er nicht so isoliert ist, wie es der Westen gerne hätte. Als ein weiteres Zeichen an die Entwicklungsländer behauptete Putin, erste russische Schiffe brächten „heute“ kostenloses russisches Getreide in „bedürftige Länder Afrikas“. Russland hat das wiederholt angeboten, um Vorwürfe um den Ausstieg aus dem sogenannten Getreidedeal zur Ausfuhr von Getreide aus drei ukrainischen Häfen zu begegnen.
Mit dem zweiten Gipfeltreffen in nur zweieinhalb Monaten demonstriert Indien noch einmal seine wachsende Bedeutung, bevor der Vorsitz am 1. Dezember an Brasilien geht. Da es sich um ein zweites Gipfeltreffen handelte, musste Indien einige Abstriche machen. Wie schon im September war statt Staatschef Xi Jinping für China Ministerpräsident Li Qiang dabei. Auch US-Präsident Joe Biden nahm nicht teil. Indiens Unterhändler zufolge, wollte Neu Delhi die Teilnehmer mit der Veranstaltung eines zweiten G-20-Gipfels ermutigen, die Ergebnisse des September-Gipfels auch umzusetzen.