Man trete in eine „neue Phase“ des Krieges ein, sagte Israels Armeesprecher Daniel Hagari in einer am Montag veröffentlichten Videobotschaft. In der Nacht hatte die Armee ihre Angriffe auf den Gazastreifen fortgesetzt und eigenen Angaben zufolge rund 200 Ziele getroffen.
Ein Schwerpunkt war Chan Junis im Südteil des Küstenstreifens, in den sich Hunderttausende Palästinenser vor den intensiven Kämpfen im Norden geflüchtet hatten. „Die Ziele im nördlichen Abschnitt sind fast erreicht“, führte Brigadegeneral Hischam Ibrahim später im israelischen Armeeradio aus. „Wir fangen an, die Bodenoffensive auf andere Teile des Streifens auszuweiten, mit einem Ziel: die Terrorgruppe Hamas zu stürzen.“
Israel geht davon aus, dass sich ein Großteil der verbliebenen Hamas-Führung wie auch die meisten der über 130 Geiseln, die noch in den Händen der Terrororganisation sind, in der Gegend von Chan Yunis befinden. Ungeachtet des militärischen Drucks feuerte die Hamas am Montag weiter Raketen auf Israel. Am Montagmorgen veröffentlichte die Armee Evakuierungsaufforderungen an die Einwohner von 20 Zonen in der Gegend um Chan Junis mit der Empfehlung, sich weiter in den Süden zu begeben. Israel gibt an, „sichere Gebiete“ für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu definieren, um sie vor den Folgen des Krieges zu schützen.
Doch von UN-Mitarbeitern und von palästinensischer Seite heißt es, dass es in der Realität des andauernden Bombardements kaum möglich sei, den Aufforderungen zu folgen. Nicht nur sei der verbliebene Teil im Süden um Rafah an der ägyptischen Grenze heillos mit Schutzsuchenden überfüllt. Auch Strom und Internetversorgung seien so brüchig, dass die Evakuierungsaufforderungen viele Menschen gar nicht erreichten. Das palästinensische Telekommunikationsunternehmen Paltel meldete am Montag, dass das Netz im gesamten nördlichen Gazastreifen aufgrund der Militärschläge zusammengebrochen sei. Das von der Hamas geführte Gesundheitsministerium gibt die Zahl der getöteten Palästinenser inzwischen mit mehr als 15.500 an.
Bewohner aus dem Norden sollen sich in Sicherheit bringen
Am Mittag teilte die israelische Armee in arabischer Sprache mit, dass die bis dahin ausgewiesene Hauptevakuierungsroute aus dem Norden, die durch Chan Junis führt, zur Kampfzone erklärt worden sei. Die Bewohner des Nordens wurden angewiesen, sich entlang der Küste in Richtung Rafah in Sicherheit zu bringen. Details über militärische Bewegungen im Gazastreifen gab die Armee zunächst nicht bekannt, doch israelische Medien berichteten unter Berufung auf Augenzeugen, dass sich Panzer in Richtung Chan Junis bewegten.
In Israel löst diese „neue Phase“ des Krieges im Süden des Gazastreifens große Sorgen um die verbliebenen Geiseln aus. Nachdem die Bodenoffensive im nördlichen Gazastreifen aus israelischer Sicht schnell vorangekommen war, hatte die Freilassung von mehr als hundert Geiseln im Zuge der Waffenstillstandsvereinbarung große Hoffnung ausgelöst. Doch mit den Nachrichten über die Ausweitung der Bodenoffensive auf Chan Junis sinken die Chancen für eine neue Feuerpause, auch wenn der internationale Druck auf Israel weiter andauert.
John Kirby, der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats in Washington, sagte am Sonntagabend, man arbeite „Stunde um Stunde“ daran, beide Seiten „zurück an den Verhandlungstisch“ zu bekommen. Doch zu den Erfolgsaussichten äußerte er sich skeptisch. Auch aus Qatar, unter dessen Führung die bisherigen Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas stattgefunden hatten, war am Montag kein neuer Stand zu vernehmen.
Den Bemühungen um eine Verhandlungslösung unter Vermittlung Qatars, in deren Rahmen immer wieder spekuliert worden war, dass sich die Hamas-Führung aus dem Gazastreifen absetzen könnte, versetzte auch ein israelischer Medienbericht einen Dämpfer. Demnach soll der Direktor des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet, Ronen Bar, in einem Gespräch gesagt haben, Israel werde ranghohe Hamas-Funktionäre selbst in Qatar oder der Türkei verfolgen.
Kan News veröffentlichte eine Tonaufnahme, auf der Bar zu hören sein soll mit den Worten, das Sicherheitskabinett habe das Ziel ausgegeben, die Hamas auszuschalten. „Wir sind entschlossen, das zu tun.“ Mit Bezug auf die Verfolgung der Hintermänner des Olympia-Attentats von 1972 sagte Bar: „Das ist unser München.“ Während der Olympischen Spiele 1972 hatten palästinensische Terroristen die israelische Mannschaft als Geiseln genommen und zwei Sportler getötet.
Bei einem Befreiungsversuch durch die deutsche Polizei waren alle weiteren neun israelischen Geiseln getötet worden. Der israelische Geheimdienst hatte die mutmaßlichen Hintermänner später über viele Jahre international verfolgt und getötet. Bar sagte dem Bericht zufolge mit Blick auf die Hamas-Führung: „Es wird einige Jahre dauern, aber wir werden da sein, um es zu tun.“