Es ist eine Erinnerung an den Bundesfinanzminister, die Christian Lindner bekannt vorkommen dürfte: „Besser keine als eine schlechte Reform der europäischen Fiskalregeln!“ Mit dieser Parole hat der Kronberger Kreis, eine Gruppe liberaler Ökonomen, am Mittwoch seine Forderung begründet, die Bundesregierung müsse die von der EU-Kommission vorgeschlagene Reform des EU-Stabilitätspakts ablehnen. „Der Kommissionsvorschlag geht in die völlig falsche Richtung, da er vor allem den hoch verschuldeten Mitgliedstaaten eine höhere Staatsverschuldung erlauben würde, statt Anreize zur Konsolidierung zu setzen“, sagte der Sprecher der Gruppe, der Freiburger Ökonom Lars Feld, der Lindner zugleich als „persönlicher Beauftragter für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung“ dient. Es sei besser, die bisherigen Regeln zum Jahreswechsel wieder gelten zu lassen, als Änderungen zuzulassen.
Die Forderung kommt denkbar spät. An diesem Donnerstagabend wollen die EU-Finanzminister nach monatelangem Streit einen Kompromiss über ein neues Regelwerk für die EU-Budgetaufsicht finden. Die Chancen dafür sind nach Angaben aus Brüssel und Berlin nicht schlecht. Hatten EU-Diplomaten am Dienstag eine Einigung noch ausgeschlossen, war 24 Stunden später von einer fünfzigprozentigen Chance die Rede, dass sich die Minister in der Nacht auf Freitag auf neue Regeln einigen. Das vom spanischen EU-Ratsvorsitz dafür angesetzte „Abendessen“ werde aber viele Gänge erfordern, sagte ein EU-Diplomat.
Grund für den neuen Optimismus in Brüssel war ein internes Papier der Spanier zur Vorlage für ein „Abendessen mit offenem Ende“. Darin sind für die beiden Teile des Stabilitätspakts – den „präventiven“ Arm, der einer zu hohen Verschuldung vorbeugen, und den „korrektiven“ Arm, der ein zu hohes Defizit korrigieren soll – je vier offene Punkte aufgelistet, die die Minister lösen müssen.
Bundesregierung nicht unbeschränkt kompromissbereit
Während Diplomaten und Beamte diese Probleme als lösbar einstuften, drohte der italienische Finanzminister Giancarlo Giorgetti vorab mit einem Veto, falls bestimmte Forderungen seiner Regierung nicht berücksichtigt würden. Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire sagte, seine Regierung werde keiner Lösung zustimmen, die dem französischen Staat „Investitionen in die Zukunft“ verbiete. „Die alten Regeln sind passé.“ In Brüssel war auch zu hören, Staatspräsident Emmanuel Macron wolle keinem Kompromiss zustimmen. Italien und Frankreich gehören zu den am höchsten verschuldeten EU-Staaten.
Aber auch die Bundesregierung scheint nicht unbeschränkt kompromissbereit zu sein. In Regierungskreisen hieß es am Mittwoch zwar, viele Gespräche hätten in den vergangenen Wochen eine Annäherung der deutsch-französischen Positionen erbracht. „Die offenen Fragen müssten sich lösen lassen.“ Das betreffe etwa die alte Berliner Forderung, im „präventiven Arm“ für hoch verschuldete Länder eine quantitative Vorgabe für die Senkung des Defizits festzuschreiben. Zuletzt war von einer Zielgröße zwischen jährlich 0,4 und 0,5 Prozentpunkten des Bruttoinlandsprodukts (BIP) die Rede.
Als schwieriger wurde in Berlin das spanische Papier dargestellt, weil es für einen zentralen Punkt des bisherigen Regelwerks – das Defizitverfahren im „korrektiven Arm“ – einen ganz neues Kriterium einführt. Bisher ist vorgeschrieben, dass ein Land mit einem Staatsdefizit von über 3 Prozent des BIP nach Eröffnung eines Verfahren sein strukturelles – also konjunkturbereinigtes – Defizit um 0,5 Prozentpunkte des BIP jährlich senken muss. Die Spanier wollen aus dieser Bezugsgröße nun die Zinszahlungen herausrechnen. Das bewirkt angesichts der Zinswende vor allem in den Hochschuldenländern einen erheblichen Unterschied. „Das werden wir nicht mitmachen, das ist für Deutschland eine rote Linie“, hieß es in Berlin.