Während Wladimir Putin zu Beginn seiner jährlichen Fernsehfragestunde „Direkter Draht“ die Stärke der russischen Wirtschaft lobt und eine Erfolgsziffer nach der anderen verkündet, scheint auf dem Bildschirm links hinter ihm eine andere Zahl auf: „Warum kostet eine Lage Eier in Dagestan 550 Rubel?“ Auf dem Bildschirm laufen die Fragen durch, die Russen per SMS oder Videobotschaft an den Präsidenten gestellt haben.
Immer wieder sind auch solche Fragen zu lesen, die wie Kritik an den Zuständen in Russland klingen: „Wie lange kann man die Korruption bei Gazprom noch aushalten?“ – „Warum arbeiten die lokalen Behörden so, dass Tausende Menschen gezwungen sind, sich an den Präsidenten persönlich zu wenden? Brauchen wir solche Behörden?“
Solche Fragen gehören zum Ritual der Livesendung, in der Russlands Präsident auf Fragen von Bürgern antwortet. Im ersten Jahr des Kriegs gegen die Ukraine hatte Putin den „Direkten Draht“ ausfallen lassen, dieses Mal wurde er mit seiner jährlichen Pressekonferenz zusammengelegt. Mehr als vier Stunden lang gab sich Putin am Donnerstag als Führer, der auf die Stimme des Volkes hört und bei fast allen Themen, auf die er angesprochen wird, aus dem Stegreif ausführlich Bescheid geben kann – von der internationalen Politik bis hin zum Problem der Versandung der Wolga.
Soldatenfragen zum Krieg gegen die Ukraine
Immer wieder, wenn sein Sprecher Dmitrij Peskow das Wort einem Journalisten der großen russischen Medien im Saal geben will, unterbricht Putin ihn und wählt stattdessen einen Vertreter eines regionalen Mediums aus. Während diese meist ihre regionalen Machthaber loben, klagen viele der Bürger, deren Fragen per Video eingespielt werden, über die lokalen Behörden. So berichtet zum Beispiel eine Gruppe Kinder von der Krim vom schrecklichen Zustand der Sporthalle in ihrer Stadt und der trotz vieler Aufforderungen untätigen Verwaltung. Der Präsident verspricht, sich darum zu kümmern.
Eine der scheinbar kritischen Bürgerfragen auf den Bildschirmen lautet: „Herr Präsident, wann wird sich das reale Russland nicht mehr von dem im Fernsehen unterscheiden?“ Putins Auftritt soll den Eindruck erwecken, dass die echten Sorgen und Nöte der Bürger zu ihm durchdringen. Während er auf eine Frage zur großen Politik antwortet, blendet die Regie des staatlichen Fernsehens groß die Forderung aus einem Dorf in Zentralrussland ein, endlich fließendes Wasser zu bekommen. In regelmäßigen Abständen erwähnen die beiden Moderatoren, die die Bürgerfragen vortragen, dass im Laufe des Jahres jede der vielen Hunderttausend eingegangenen Fragen von den Aktivisten einer kremlnahen Organisation bearbeitet werde.
Als roter Faden ziehen sich Fragen zur „Militärischen Spezialoperation“ (wie der Krieg gegen die Ukraine in Russland offiziell heißt) durch die Sendung. Auch dabei spielen Probleme mit der Bürokratie eine Rolle. Eine Sanitätssoldatin aus dem Donbass klagt, dass sie die Bescheinigung nicht bekommen könne, die ihr als Kriegsteilnehmerin soziale Vergünstigungen bringt. Putin weiß, wo die Schwierigkeit liegt: Eine Gesetzeslücke, die Menschen betreffe, die sich den Kämpfern der „Volksrepublik Donezk“ vor dem Anschluss des Gebiets an Russland angeschlossen hätten. Man arbeite daran, das Problem zu lösen.