Es ist keine ganz neue Erkenntnis, dass Bayer Leverkusen eine spektakulär gute Saison erlebt, ganz große Spiele fanden bislang jedoch selten in ihrem hübschen Stadion am Rhein statt. Weil bislang kaum ein echtes Spitzenteam hier antrat, seit das Ensemble von Trainer Xabi Alonso diesen beeindruckenden Fußball spielt.
Am Dienstagabend änderte sich das: Im Viertelfinale des DFB-Pokals traf Bayer Leverkusen endlich einmal auf einen ähnlich formstarken Gegner, den VfB Stuttgart – woraus sich eine tolle Partie entwickelte, die Leverkusen auf genau jene Art als Sieger beendete, wie diese Mannschaft zuletzt so oft gewonnen hat: durch ein spätes Tor. Nachdem die Werkself zwei Mal zurückgelegen hatte, köpfte Abwehrchef Jonathan Tah in der 90. Minute den Siegtreffer zum 3:2. „Es fühlt sich brutal gut an“, sagte Tah in der ARD.
Beim VfB Stuttgart war der Japaner Hiroki Ito zurück vom Asien-Cup in die Startelf gerutscht, während Edmond Tapsoba nach dessen Ausscheiden mit der Elfenbeinküste beim Afrika-Cup in die Leverkusener Dreierabwehrkette zurückgekehrt war. Es war allerdings schnell zu sehen, dass diese Kontinentalturniere mitten in der Saison nicht nur für Ausfälle in den ersten Ligapartien des Kalenderjahres sorgen, sondern auch Spuren bei den Spielern hinterlassen.
Stürmer Guirassy fehlt Stuttgart
Der ebenfalls wieder in Deutschland eingetroffene Torjäger Serhou Guirassy schaffte es aufgrund der Strapazen nicht in den Kader der Stuttgarter, und Tapsoba produzierte den entscheidenden Fehler vor dem 0:1. Bei einer Ecke von Angelo Stiller verlor er Gegenspieler Waldemar Anton aus den Augen, der per Kopf die Führung für die Schwaben erzielte (11. Minute).
In der ersten halben Stunde war der VfB das harmonischere Team, das zielstrebiger agierte und dem weniger Fehler unterliefen. Im Pokal spielt bei Bayer ja immer Ersatztorhüter Matej Kovar, dessen Pässe im Spielaufbau oft unsouverän wirkten und zu Ballverlusten führten. „Mit dem Ball müssen wir ruhig spielen, wir wollen Kontrolle haben“, hatte Trainer Alonso vor der Partie gesagt, und irgendwann gelang das seinen Leuten besser.
Es entwickelte sich ein hochklassiges Spiel, in dem es hin und her ging. Eine derart mitreißende Mannschaft wie die der Stuttgarter war in den vergangenen Monaten nicht in Leverkusen angetreten, aber Bayer wehrte sich. Patrik Schick traf sogar ins Tor, stand beim vorherigen Anspiel jedoch im Abseits (40.). Alejandro Grimaldo forderte Stuttgarts Torhüter mit einem Freistoß heraus (42.), und die Stuttgarter hatten Kontergelegenheiten.
Aber gegen diesen hervorragend verteidigenden Gegner zeigte sich nicht zum ersten Mal eine Schwäche, die Leverkusen in diesem Jahr zu schaffen macht: Die stärksten Angreifer der Hinrunde strahlen nicht mehr so viel Torgefahr aus wie noch vor Weihnachten, was auch im Hinblick auf das Bundesligaspitzenspiel gegen den FC Bayern an diesem Samstag (18.30 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Bundesliga und bei Sky) Alsonso Gedanken machen könnte.
Schick ist nach seinen vielen Verletzungen noch nicht in seiner besten Form, und vergab kurz nach der Pause eine Schussmöglichkeit zentral vor dem Tor (47.). Hofmann spielt nicht mehr mit der Brillanz des Herbstes und Florian Wirtz macht zwar weiterhin viele erstaunliche Dinge, die aber nur selten die gewünschte Durchschlagskraft entwickeln. Da passte es, das ein eher defensiv orientierter Spieler zum Ausgleich traf: Robert Andrich, der den Ball aus 20 Metern mit der Innenseite in den Winkel zirkelte (49.).
Es war nun eines dieser Spiele, die ein derart hohes Niveau auszeichnet, dass kleine Fehler konsequent bestraft werden. Andrich hatte etwas zu viel Raum und Zeit gehabt für sein Tor, und der abermaligen Stuttgarter Führung ging ein zu ungenauer Ball im Spielaufbau voraus. Zwei Pässe später traf Chris Führich zum 2:1 für die Stuttgarter (58.). Doch der kurz zuvor eingewechselte Amine Adli antwortete prompt mit einen Kontertor zum 2:2 (66.).
Nun war Leverkusen gefährlicher, Zugang Borja Iglesias hatte seine Chancen (69., 74.), aber auch Stuttgarts Deniz Undav hatte eine Gelegenheit (78.), bevor Tah der ausgiebig bejubelte Siegtreffer gelang. „In der letzten Minute so ein Tor zu bekommen, das tut sehr weh“, sagte Stuttgarts Torschütze Anton in der ARD. „Auf diesem Top-Level sind Kleinigkeiten entscheidend.“ Leverkusen erreichte das Halbfinale des DFB-Pokals und gilt als eindeutiger Favorit auf den Titel. Denn außer Borussia Mönchengladbach sind alle anderen Bundesligateams bereits ausgeschieden, und besser als Bayer spielt aktuell kein deutsches Team.
Auch für das nun folgende Spiel gegen die Bayern, in dem um die Tabellenführung der Bundesliga geht, könnte dieser Erfolg eine beflügelnde Wirkung haben. Allerdings droht mit diesem Sieg weiterhin die Wiederholung eines alten Traumas: Im Jahr 2002 spielte Leverkusen ähnlich brillant, war lange Tabellenführer, erreichte die Finals in Pokal sowie Champions League, hatte am Ende aber keine Kraft mehr und stand ohne Titel da.