Nach den Parlamentswahlen in Pakistan hat die Partei des inhaftierten früheren Ministerpräsidenten Imran Khan ihre Anhänger für Sonntag zu Protesten wegen mutmaßlicher Wahlfälschung aufgerufen. Die von Khan aufgestellten Kandidaten hatten bei der Wahl am Donnerstag die meisten Parlamentssitze gewonnen. Seine Partei behauptet jedoch, in Wirklichkeit eine absolute Mehrheit errungen zu haben. Die Abschaltung des landesweiten Mobilfunknetzes am Wahltag und die verzögerte Veröffentlichung der Ergebnisse haben das Vertrauen in die offiziellen Ergebnisse erschüttert. Khans Partei PTI erklärte, eine Regierung bilden zu wollen. „Imran Khan wird entscheiden, wer der nächste Ministerpräsident wird“, sagte der Parteivorsitzende Gohar Khan am Samstag. Unklar ist, wie die PTI die dafür notwendigen Koalitionspartner finden will.
Der unerwartete Wahlerfolg der PTI trotz der Inhaftierung ihres Parteigründers und ihrer Behinderung im Wahlkampf hat die Unzufriedenheit in der Bevölkerung über die Einmischung des Militärs in den Wahlprozess und die Politik des Landes offen zutagetreten lassen. Ein Mitglied des pakistanischen Senats sprach von der „folgenreichsten Wahl” seit den ersten direkten Wahlen im Jahr 1970.
Die Generäle hatten dem früheren dreifachen Ministerpräsidenten Nawaz Sharif den Weg zu einem Wahlsieg geebnet. Seine Muslimliga (PML-N) blieb jedoch weit hinter den Erwartungen zurück. Dennoch erklärte Sharif am Freitagabend seine Partei zur „stärksten Partei“, weil die Kandidaten der gegnerischen PTI als Parteilose antreten mussten. Nawaz Sharif beauftragte seinen Bruder Shehbaz Sharif mit Sondierungsgesprächen. Noch am gleichen Abend traf dieser sich mit den Vorsitzenden der Volkspartei, Bilawal Bhutto Zardari und Asif Zardari. Der frühere Präsident Zardari gilt als gewiefter Verhandler.
„Ihr Ansehen liegt jetzt bei null“
Die beiden großen Dynastien des Landes, die Sharifs und die Bhuttos, hatten zuletzt nach dem Sturz Imran Khans im Jahr 2022 gemeinsam mit anderen Parteien eine Regierung gebildet. Wegen der desaströsen Wirtschaftslage war die Koalition jedoch höchst unbeliebt. Sharifs Muslimliga bemühte sich am Samstag, den Eindruck zu erwecken, dass bereits eine Einigung erzielt worden sei.
Die Sondierungsgespräche schienen den Segen der Armee zu haben. Armeechef Asim Munir sagte, das Land müsse „Anarchie und Polarisierung“ hinter sich lassen, brauche nun „Heilung“ und müsse in „stabile Hände“ gelegt werden. Dagegen forderte der PTI-Vorsitzende Gohar Khan, „alle Institutionen” müssten den Wählerwillen respektieren – gemeint war die Armee. Khans Wahlerfolg und der verbreitete Eindruck von Wahlfälschung haben den Ruf des Militärs in den Augen der Bevölkerung beschädigt. Das lässt sich auch auf den Straßen Islamabads spüren. Ein Immobilienhändler namens Naweed Khan erklärt: „Vorher lag ihr Ansehen auf einer Skala von eins bis zehn bei fünf, jetzt bei null.“
Proteste wegen mutmaßlicher Wahlfälschung
Vor allem jüngere Wähler sind es leid, dass ihr Land seit 76 Jahren von Generälen und feudalen Dynastien beherrscht wird. Das Militär hatte offenbar gehofft, Khans Einfluss mit den Parlamentswahlen endgültig zu bannen. Das Gegenteil war der Fall. Die allzu unverblümte Einflussnahme mobilisierte die Anhänger Khans, der sich geschickt als Opfer einer Verschwörung inszenierte. Zumindest wird er eine starke Oppositionskraft bleiben.
Nach vorläufigen offiziellen Angaben gewann die PTI 93 von 256 ausgezählten Sitzen, Sharifs Muslimliga kommt auf 73, Bhuttos Volkspartei auf 54 Sitze. Für die übrigen neun Wahlkreise lagen mehr als zwei Tage nach Schließung der Wahllokale noch immer keine Ergebnisse vor. Anschließend werden den Parteien je nach Stärke 70 Quotensitze für Frauen und Minderheiten zugeteilt. Die PTI hat darauf keinen Anspruch, weil ihre Kandidaten als Parteilose antreten mussten. Das begrenzt Khans Machtoptionen zusätzlich.
Bereits am Samstag kam es vereinzelt zu Protesten wegen mutmaßlicher Wahlfälschung. Dabei wurden in Nordwasiristan zwei Mitglieder einer paschtunischen Lokalpartei getötet, deren Vorsitzender wurde schwer verletzt.
Die Vereinigten Staaten und die Europäische Union forderten eine Untersuchung der Manipulationsvorwürfe. Nimmt man vergangene Wahlen als Maßstab, ist damit wohl nicht zu rechnen. In der vergleichsweise milden Erklärung der EU hieß es: „Wir bedauern das Fehlen gleicher Wettbewerbsbedingungen, da manche politische Akteure nicht kandidieren konnten.“
Die kommenden Tage werden zeigen, ob es Khan gelingt, die von ihm aufgestellten Kandidaten als Gruppe zusammenzuhalten. Drei Tage haben die frisch gewählten parteilosen Parlamentarier Zeit, sich anderen Fraktionen anzuschließen, die sie mit Posten und anderen Vorteilen locken könnten. Niels Hegewisch, Landesdirektor der Friedrich-Ebert-Stiftung in Pakistan, prophezeit: „Es wird viele moralische und unmoralische Angebote geben.“