„Ich schäme mich zutiefst, dass jüdisches Leben in unserem Land wieder derart gefährdet ist.“ So kommentierte der hessische Innenminister Roman Poseck (CDU) den starken Anstieg der antisemitischen Straftaten. Laut der am Freitag veröffentlichten Kriminalstatistik des vergangenen Jahres wurden 2023 insgesamt 347 einschlägige Delikte registriert. 59 Prozent davon ereigneten sich allein in der Zeit zwischen dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober und dem 31. Dezember. Der Anstieg im Vergleich zum Jahr 2022 beläuft sich auf 224 Prozent.
Bei den meisten antisemitischen Straftaten handelte es sich um „Hasspostings“. In drei Fällen kam es zu Gewaltdelikten. Die Meldestelle „Hessen gegen Hetze“ verzeichnete seit dem 7. Oktober im Vergleich zu den Vormonaten eine Verdoppelung der Meldungen von antisemitischen Inhalten. Das Innenministerium hat nach Posecks Angaben die „Taskforce Nahost“ eingerichtet, um die Informationen der unterschiedlichen Sicherheitsbehörden zu bündeln. „Die gesamte Gesellschaft, auch alle Zugewanderten, sind aufgerufen, jeder Form des Antisemitismus beherzt und kompromisslos entgegenzutreten,“ sagte Poseck.
Rechtsextremismus noch immer größte Bedrohung
Nach dem Angriff der Hamas stieg die Zahl der politisch motivierten Delikte sprunghaft auf 3425 an. Im Kontext von 265 Veranstaltungen, die im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt standen, wurden 388 Straftaten begangen. Die Zahl der Straftaten, die bei Veranstaltungen mit einem Bezug zum Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine begangen wurden, sank von 331 im Vorjahr auf 128 Fälle. Die größte Bedrohung für die Demokratie sei weiterhin der Rechtsextremismus, stellte der Innenminister fest. Die Ermittler hätten 61 Haftbefehle und 134 Durchsuchungsbeschlüsse vollstreckt und dabei auch Waffen und NS-Devotionalien sichergestellt.
Gemeinsam mit dem Verfassungsschutz habe die Polizei den geplanten Angriff einer rechtsextremen Gruppe von fünf Personen auf einen Bürger in Wetzlar erfolgreich verhindert. Die Ermittlungsresultate und die leicht gestiegene Aufklärungsquote zeigten, dass die Sicherheitsbehörden wachsam seien. Neben den außenpolitischen Ereignissen hätten im vergangenen Jahr auch die hohe Inflation, Nachholeffekte aus der Corona-Pandemie und der Anstieg der Alltagsmobilität die Kriminalität steigen lassen. Trotz der gestiegenen Fallzahlen weise Hessen aber nach wie vor eine hohe Aufklärungsquote von 63,2 Prozent auf. Im vergangenen Jahr lag sie um einen halben Prozentpunkt höher.
„Hessen ist nach wie vor ein sicheres Bundesland“
Der bundesweite Vergleich ist noch nicht möglich, weil bei Weitem noch nicht alle Länder ihre Statistik vorgelegt haben. Poseck geht aber davon aus, dass Hessen mit einer unterdurchschnittlichen Belastung an Kriminalität und einer überdurchschnittlichen Aufklärungsquote am Ende unter den fünf Bestplatzierten rangieren werde. Es sei „nach wie vor ein sicheres Bundesland“. Die Zahlen lägen im Bundestrend.
Anlass zu besonderer Sorge geben dem Innenminister insgesamt 12.000 Fälle von häuslicher Gewalt. Die steigende Tendenz habe sich bereits in den vergangenen Jahren abgezeichnet, sagte Poseck. Die Aufklärungsquote liege zwar bei 99,7 Prozent. Aber man müsse von einer hohen Dunkelziffer ausgehen. „Es besteht Handlungsbedarf, Frauen besser zu schützen“, stellte der Minister fest. So will die schwarz-rote Koalition den Einsatz der elektronischen Fußfessel ausweiten, weil Anordnungen wie Kontaktsperren oder Annäherungsverbote von den Tätern häufig ignoriert würden.
Gestiegen ist auch die Zahl der Angriffe auf Polizisten und Politiker. Der Zunahme von Delikten der Straßenkriminalität will der Innenminister mit einer „Innenstadtoffensive“ begegnen. Die Polizei erhöhe den Kontrolldruck und nehme vermehrt Wettbüros, Bars, Spielhallen und Szenelokale in den Blick. Vor allem, aber nicht nur im Frankfurter Bahnhofsviertel würden mehr Razzien angeordnet. Die Videoüberwachung werde weiter ausgebaut.
Hoher Anstieg auch bei Kinderpornographie
Auch den Kampf gegen sexuellen Kindesmissbrauch setze man entschlossen fort, kündigte der Innenminister an. Die Verbreitung strafbarer pornographischer Inhalte im Internet habe zwischen 2015 und 2022 bundesweit um knapp 600 Prozent zugenommen, berichtete Poseck. Eine Ursache dieser Entwicklung sei die Nutzung von Datingportalen, die eine anonyme Anbahnung sexueller Kontakte ermöglichten. Gleichzeitig steige die Bereitschaft der Opfer, die Täter anzuzeigen. Poseck bekräftigte seine Forderung, den Ermittlern die Speicherung von IP-Adressen zu erlauben. Sie sei oft der einzige Ansatz, um die Identität der Täter überhaupt zu ermitteln.
Dies gelte nicht nur für Sexualstraftaten, sondern auch für andere Formen der Kriminalität. Außerdem könne man damit schweren Bedrohungen der nationalen Sicherheit begegnen, sagte der Minister. Angesichts der psychischen Belastungen gibt es Supervisions- und Betreuungsangebote für die Polizisten, die mit sexuellem Missbrauch von Kindern oder Kinderpornographie befasst sind. Außerdem bekommen diese Beamten seit dem vergangenen Sommer eine monatliche Zulage von 300 Euro. Den Kampf gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Kinderpornographie nannte Poseck auf Nachfragen als einen von vielen, in denen er mit der Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) übereinstimme.