Wer war Elisabeth Iwanowa Epstein, die zur Zeit auf Plakaten in die Neupräsentation des Blauen Reiters ins Münchner Lenbachhaus einlädt? Kaum jemand kennt noch die Künstlerin, deren Selbstporträt von 1911 in grüner Bluse und mit expressiv vielfarbigem Teint bemerkenswerte Qualität aufweist und der kein Geringerer als Thomas Mann ein Denkmal in Gestalt der gescheiten Malerin Lisaweta Iwanowa in seinem 1903 erschienenen „Tonio Kröger“ setzte.
Tatsächlich spielte Epstein eine zentrale Rolle als Mittlerin zwischen dem Blaue-Reiter-Kreis um Wassily Kandinsky und der französischen Avantgarde, auf die sie während einer Zeit in Paris traf. Dort teilte sie eine Wohnung mit ihrer wie sie selbst aus ukrainisch-jüdischer Familie stammenden Freundin, der Künstlerin Sarah Stern, besser bekannt unter dem Namen Sonja Delaunay.
Epstein knüpfte Kontakt zwischen Robert Delaunay und Kandinsky, der den Franzosen umgehend zur ersten Blauer-Reiter-Ausstellung in der Galerie Thannhauser einlädt – wie auch Elisabeth Epstein, als eine von wenigen Künstlerinnen. Delaunay, der wie die Münchner Gemeinschaft nach einer neuen Sprache in der Kunst suchte, hinterließ mit seinem farbflirrenden Kubismus tiefen Eindruck bei Paul Klee, August Macke und Franz Marc.
Melanie Vietmeier, die neue Sammlungsleiterin und Kuratorin für den Blauen Reiter, veranschaulicht das am Beispiel von Delaunays gegenstandsfernen, lichtbrechenden „Fenêtres sur la ville“ Seite an Seite mit Marcs Gemälde „Vögel“ von 1914, einer prismatisch zersplitterten Komposition in leuchtendem Kolorit, auch sie auf dem Pfad Richtung Abstraktion. Delaunays Bild war seinerzeit der allererste Ankauf aus Finanzmitteln, die Gabriele Münter mit ihrem gesamten Besitz dem Lenbachhaus überließ, darunter vor allem der kolossale Schatz von mehr als 1200 Kunstwerken, der dem Haus die weltweit größte Sammlung zur Kunst des Blauen Reiters bescherte. Manches davon verließ noch nie das Depot.
Im Sturmschritt zur Moderne
Als Gegenleistung für die im Lenbachhaus gerade zu Ende gegangene, äußerst erfolgreiche Turner-Ausstellung schickte München der Londoner Tate Modern etliche Leihgaben für deren demnächst startende Blockbusterschau zum „Blue Rider“. Das Lenbachhaus nutzt die Gelegenheit zur Neupräsentation aus Sammlungshöhepunkten, die niemals reisen – Franz Marcs ikonisches „Blaues Pferd“ etwa verlässt das Haus grundsätzlich nicht –, im Verbund mit Neuerwerbungen und Wiederentdeckungen à la Elisabeth Epstein. Gerahmt von Streiflichtern auf Vorgeschichte und Nachwirkungen, beleuchtet der Rundgang Haupt- und Seitenwege entlang der beträchtlichen Strecke in die Moderne, die Kandinsky und sein Kreis fast im Sturmschritt zurücklegen.