Auf diesen Tag hat Susanne Reitmaier lange gewartet – und nicht nur gewartet. Sie hat dafür gekämpft. Reitmaier setzt sich seit acht Jahren dafür ein, dass die sogenannte Cross-over-Lebendorganspende in Deutschland erlaubt wird. Dabei geht es um Spenden unter Paaren, von denen jeweils ein Partner eine Nierentransplantation benötigt. Bisher sind solche Spenden laut Transplantationsgesetz nur unter Verwandten ersten und zweiten Grades, Eheleuten, Lebenspartnern oder anderen Personen erlaubt, die „dem Spender in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahestehen“. Eine Cross-over-Spende ist eine Spende unter zwei Paaren, bei denen die Spender über Kreuz immunologisch zueinanderpassen. Denn häufig möchte zwar ein Partner für seinen erkrankten Partner eine Niere spenden, doch ist die Spende aus immunologischen Gründen nicht möglich; laut Angaben des Bundesgesundheitsministeriums betrifft das etwa vierzig Prozent der Fälle.
Susanne Reitmaier hat für dieses Problem eine unkonventionelle Lösung gefunden: Sie vermittelt mithilfe eines an der Universität Stanford entwickelten Computerprogramms Paare, deren medizinische Voraussetzungen nicht für eine Spende untereinander passen, aber über Kreuz mit einem anderen Paar. Um die bisher benötigte „besondere persönliche Verbundenheit“ herzustellen, besuchen sich die Paare dann gegenseitig und gehen schließlich gemeinsam in die medizinische Behandlung.
In vielen Ländern schon erlaubt
Reitmaier hat dieses System nicht selbst erfunden: In vielen anderen Ländern ist die Überkreuzspende erlaubt, und es bestehen Strukturen und Programme, um geeignete Partner zueinanderzubringen. Als ihre Tochter vor 25 Jahren erkrankte, spendete zunächst der Vater eine Niere an das damals zwölf Jahre alte Mädchen. Als jedoch 15 Jahre später eine zweite Transplantation nötig wurde und Susanne Reitmaier ihrer Tochter aufgrund einer eigenen Erkrankung keine Niere spenden konnte, profitierte die Tochter von der Möglichkeit einer Überkreuzspende in Spanien. 2015 wurde ihr dort eine Niere transplantiert. Die Spende an das andere Paar kam dabei von ihrer Tante, der Schwägerin von Susanne Reitmaier.
Seitdem setzt sich Reitmaier dafür ein, dass solche Überkreuzspenden auch in Deutschland erlaubt werden. „Ich war nach der OP vollkommen euphorisch und fragte mich, wieso gibt es das hier eigentlich nicht?“, erzählt die heute 65 Jahre alte Wolfsburgerin. „Naiv“ sei sie damals gewesen, sagt Reitmaier im Rückblick, „ich wollte ja einfach nur, dass die Leute es hier nicht mehr so schwer haben“.
Doch was sie sich da in den Kopf gesetzt hatte, war viel schwieriger als gedacht – und wuchs sich zu einem wahren Mammutprojekt aus. Über Jahre schrieb sie an Kliniken und Verbände, Selbsthilfegruppen, Politiker und Ministerien – und baute schließlich, da sich einfach nichts bewegte, zusammen mit einer Mathematikerin ein eigenes Vermittlungsprogramm auf. Rund sechzig Paare sind aktuell in ihrer Kartei; vier Paare konnte sie schon für Überkreuzspenden in Deutschland zusammenbringen, sechs weitere fanden schließlich Hilfe in Spanien und der Türkei, zwei weitere Paare sind momentan in der Evaluierung in unterschiedlichen Kliniken. Reitmaier hielt Vorträge, sammelte Spenden, ging auf Symposien, wurde zu einer Anhörung in den Bundestag eingeladen – und jetzt ist es endlich so weit.
Zu wenig Spendernieren
In der vergangenen Woche wurde bekannt, dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) einen Entwurf für eine Änderung des Transplantationsgesetzes in die interne Abstimmung gegeben hat, mit dem Nierenspenden auch ohne das bisher nötige enge persönliche Verhältnis zwischen Spender und Empfänger erlaubt werden sollen. „Seit langer Zeit reicht die Zahl der Spendernieren nicht aus, um den Bedarf zu decken“, heißt es dazu in dem Entwurf. „Mit der Kreuzspende können Paare sich bald gegenseitig Organe spenden. Auch die anonyme Lebendspende kommt. Ein wichtiges Gesetz, hilft besonders Paaren und Familien“, schrieb Lauterbach auf der Plattform X.
Fast 6700 Patienten standen 2023 nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation auf der Warteliste für eine Nierentransplantation. 1966 Nieren wurden 2022 in Deutschland transplantiert, 2023 waren es 2122. Im Jahr 2022 waren darunter 535 Lebendspenden, 2023 waren es 608, also jeweils mehr als ein Viertel aller Nierenspenden, mit steigender Tendenz. Die Wartezeit für eine Spenderniere liegt in Deutschland derzeit bei bis zu acht Jahren; 2023 verstarben 289 Patienten auf der Warteliste, bevor sie eine Niere erhalten konnten. Etliche andere wurden wieder von der Liste gestrichen, weil sich ihr Gesundheitszustand zu sehr verschlechtert hatte, um die Operation noch zu überstehen.
Nicht nur Betroffene, auch viele Mediziner und Gesundheitspolitiker warben darum schon seit Langem für die Überkreuzspende. Das Bundesgesundheitsministerium hielt 2021 noch unter Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ein Symposion mit dem Titel „Eine Perspektive für Deutschland“ ab, im selben Jahr forderte sie der Deutsche Ärztetag, die FDP hatte dazu schon 2018 einen Antrag eingebracht und erneuerte ihre Forderung im Jahr 2023. „Nach so vielen Jahren, in denen wir dafür eingetreten sind, finde ich es einfach großartig, dass die Überkreuzspende endlich kommt“, sagte die rechtspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Katrin Helling-Plahr, der F.A.Z.
Konkret sollen mit der Novelle gleich mehrere Punkte des alten Transplantationsgesetzes aus dem Jahr 1997 geändert werden: Bisher hatten postmortale Nierenspenden den Vorrang vor Lebendspenden; nur wenn kein Organ eines postmortalen Spenders verfügbar war, durfte eine Lebendspende vorgenommen werden. Dieser Vorrang soll nun gestrichen werden. Neben den Überkreuzspenden will Lauterbach auch anonyme Nierenspenden erlauben. Nieren, die aus altruistischen Gründen gespendet werden, sollen dann einem Pool möglicher Spenderorgane eingegliedert werden; die Vermittlung erfolgt dann nach rein medizinischen Kriterien an ein inkompatibles Paar oder an andere Personen auf der nationalen Warteliste.
Lauterbach will Vermittlungsstelle für Spenderpaare einrichten
Solche anonymen, nicht gerichteten Nierenspenden können nach Einschätzung Helling-Plahrs von Menschen kommen, die etwas zurückgeben möchten, weil ein ihnen nahestehender Mensch zuvor eine Spende erhalten hat. „Auch religiöse Gründe spielen manchmal eine Rolle, wenn Menschen ihre Nächstenliebe aktiv leben wollen“, sagt die FDP-Politikerin.
In Deutschland müssten laut dem Entwurf neben den gesetzlichen Grundlagen auch die notwendigen Strukturen geschaffen werden. Dazu zählen vor allem die Gründung einer Stelle zur Er- und Vermittlung passender Spenderpaare und die Integration in das vor Kurzem ans Netz gegangene bundesweite Organspenderegister. Potentielle Spender sollen außerdem durch medizinische und psychosoziale Beratung und Evaluation vor, während und nach dem Spendeprozess durch unabhängige, bestellte Begleiter umfassend geschützt werden.
Sollten sie später selbst erkranken und eine Nierenspende benötigen, soll ihre frühere Spende bei der Vermittlung angemessen durch eine höhere Punktevergabe im Bewertungssystem auf der Warteliste berücksichtigt werden. Anders als bei postmortalen Organspenden sollen bei der Überkreuzlebendspende auch Spender und Empfänger auf Wunsch sowie nach einer Wartefrist bekannt gegeben werden dürfen. Bei alledem sei die Freiwilligkeit der Organspende zu sichern und der Gefahr des Organhandels vorzubeugen, heißt es in dem Entwurf. Diese beiden Punkte waren die Hauptargumente für die bisherige restriktive Regelung.
Darüber hinaus sieht die Novelle eine weitere wichtige Neuerung vor: Operationsreste, die beispielsweise nach Herzoperationen übrig bleiben und bisher nur mit Zustimmung der operierten Person aufbereitet und an bedürftige Personen weitergegeben werden dürfen, könnten dann auch mit Zustimmung des gesetzlichen Vertreters oder Bevollmächtigten aufgehoben werden, wenn die Person selbst nicht zustimmungsfähig ist; meist handelt es sich dabei um Herzklappen.
Des Weiteren soll die Erlaubnis, Keimzellen vor einer Strahlenbehandlung zu entnehmen und für eine später möglicherweise gewünschte künstliche Befruchtung zu konservieren, auch auf Männer ausgedehnt werden, die zu diesem Zeitpunkt nicht einwilligungsfähig sind.
Für Susanne Reitmaier ist wichtig, dass das novellierte Gesetz auch sogenannte Kettenspenden ermöglicht. Denn als sie vor neun Jahren mit ihrer Tochter und ihrer Schwägerin für die Transplantation nach Spanien flog, war es nicht eine Zwei-zu-zwei-Paarung, in der die Nieren untereinander getauscht wurden: Die Schwägerin, deren Antikörper nicht mit denen ihrer Nichte kompatibel waren, spendete eine Niere an ein Empfängerpaar in Valencia, das Paar in Valencia spendete eine Niere an ein Paar in Madrid, und eine Niere des Empfängerpaars in Madrid ging an die Tochter von Reitmaier. „Eine Super-Niere“, schwärmt die Mutter, „sie arbeitet bis heute vollkommen komplikationslos, sogar noch besser als die von ihrem Vater.“ Wie es aussieht, könnte es tatsächlich auch in Deutschland so kommen: Kettenspenden sind im Entwurf zwar nicht eigens erwähnt. Es findet sich darin aber auch keine Obergrenze für die Zahl der beteiligten Paare.