Im ersten Interview seines Lebens sagte Bidsina Iwanischwili, er sei „kein öffentlicher Mensch“ und möge es nicht, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen. Das ist fast zwanzig Jahre her. Er sei einer der „geheimnisvollsten russischen Unternehmer“, schrieb die Moskauer Wirtschaftszeitung „Wedomosti“ damals über ihn. Sein Vermögen wurde auf mehr als fünf Milliarden Dollar geschätzt. Ihm gehörten eine Bank namens „Russischer Kredit“, ein Netz von Apotheken, ein Agrarkonzern und Immobilien in den besten Lagen russischer Großstädte.
Ein russischer Unternehmer ist Bidsina Iwanischwili schon lange nicht mehr. All die großen Unternehmen in Russland hatte er verkauft, bevor er im Herbst 2012 in seiner Heimat Georgien mit seiner Partei Georgischer Traum den ersten Machtwechsel durch Wahlen herbeiführte und Ministerpräsident wurde. Er gebe seine Geschäfte in Russland auf, „um das Aufkommen zusätzlicher Fragen in der Gesellschaft zu vermeiden“, äußerte er damals. Doch die Fragen sind geblieben. Und sie werden angesichts der Entwicklungen in Georgien immer lauter. Denn Iwanischwili ist nicht nur der mit Abstand reichste, sondern auch der mächtigste Mann Georgiens.
Für Hunderttausende Georgier, die seit Anfang April an Demonstrationen gegen die Regierung teilgenommen haben, ist die Antwort auf die Fragen um Iwanischwili klar. Sie bezeichnen ihn als „russischen Oligarchen“. Auslöser der Proteste ist ein Gesetz, das die Demonstranten „russisches Gesetz“ nennen, weil es ein russisches Vorbild hat: das Gesetz gegen „ausländische Agenten“, mit dem Wladimir Putin seit mehr als einem Jahrzehnt gegen Kritiker vorgeht. Doch es geht um viel mehr als um dieses eine Gesetz, das sich gegen zivilgesellschaftliche Organisationen und Medien richtet, die Geld aus dem westlichen Ausland erhalten. Die Gegner Iwanischwilis glauben, er wolle Georgiens Orientierung nach Westen beenden und es zu einer Diktatur in Russlands Einflusssphäre machen.
Die Mehrheit der Georgier strebt nach Westen
Offiziell bekennt sich Iwanischwili zum Ziel eines Beitritts zu EU und NATO – beides wird laut Umfragen von einer überwältigenden Mehrheit der Georgier gewünscht. Aber eine Rede Ende April klang wie das Gegenteil. Vor hunderttausend Menschen, zu einem großen Teil Staatsbedienstete, die von der Regierungspartei aus allen Teilen Georgiens zu einer Gegenkundgebung gegen die Proteste nach Tiflis gebracht worden waren, behauptete er, eine „globale Partei des Krieges“, die in EU und NATO „entscheidenden Einfluss“ habe, wolle Georgien unter ihre Kontrolle bringen. Diese fremden Kräfte hätten Georgien schon 2008 in einen Krieg gegen Russland getrieben und später über die Ukraine noch viel größeres Unheil gebracht. Mithilfe von Opposition und Nichtregierungsorganisationen wollten sie in Georgien eine „unmenschliche und sadistische Diktatur“ errichten. Aber das werde er „um jeden Preis“ verhindern. Dazu sei das Gesetz notwendig, das offiziell „Über ausländischen Einfluss“ heißt. Für die Zeit nach der Parlamentswahl kündigte er die Verfolgung seiner Gegner an. „Sie haben keine Heimat“, sagte er damals. „Sie lieben ihr Land oder ihr Volk nicht.“
Seit der Georgische Traum das Gesetz Anfang April eingebracht hat, wird in Tiflis darüber spekuliert, was die Partei dazu bewegt hat. Denn die Regierung hatte es in einem ersten Anlauf im Frühjahr 2023 nach wenigen Tagen zurückgezogen, weil die Proteste trotz massiver Polizeigewalt so gewachsen waren, dass eine Revolution drohte. Schon da hatte die EU deutlich gemacht, dass bei Inkrafttreten dieses Gesetzes Fortschritte Georgiens auf dem Weg in Richtung der Gemeinschaft unmöglich seien. Das ist für die Regierung ein Problem, denn auch die Mehrheit ihrer eigenen Anhänger will Georgien in der EU sehen. Und so schauen nun alle auf Iwanischwili, auf seine Vergangenheit, sein Umfeld, seine Interessen. Denn in der Rede Ende April hat er gezeigt, dass er die Durchsetzung dieses Gesetzes unbedingt will.
Viele vermuten, Moskau habe Iwanischwili gezwungen, das Gesetz wieder einzubringen, obwohl die Proteste absehbar waren. Dieser Verdacht schwingt auch in der Antwort von Georgiens Präsidentin Salome Surabischwili auf die Frage der F.A.Z. mit, ob sie im Vorgehen der Regierung Russlands Hand sehe: „Die Regierung hatte keinen Grund, die Bevölkerung mit einem Schritt zu provozieren, der sich gegen einen großen Teil der Gesellschaft richtet. Das ergibt keinen Sinn: Warum bringt man die Menschen gegen sich auf, wenn einen nichts dazu zwingt?“
In Georgien war Iwanischwili lange ebenso geheimnisumwittert wie in Russland. Das ganze Land kannte seinen Namen und redete über ihn, aber kaum jemand wusste, wie er aussieht, bevor er 2011 in die Politik ging. Es hieß, dass er Künstler und Sportler unterstütze und einen privaten Zoo mit Pinguinen und Zebras unterhalte. Den Einwohnern des Dorfes Tschorwila im Westen Georgiens, wo er 1956 in einer armen Familie geboren wurde, hatte er neue Häuser gebaut. Und es gab Gerüchte, er habe mit seinem Geld einige der Reformen von Präsident Micheil Saakaschwili unterstützt, der durch die Rosenrevolution 2003 an die Macht gekommen war. Die Beendigung von dessen zunehmend autoritärer Herrschaft war das erklärte Ziel Iwanischwilis.
Offiziell zog sich Iwanischwili mehrfach zurück
Saakaschwili und seine Parteigänger stellten Iwanischwili schon damals als Projekt des russischen Präsidenten Putin dar. Ohne Einverständnis des Kremls könne in Russland niemand so große Geschäfte betreiben, sagten sie. Auch für den angekündigten Verkauf seiner Unternehmen in Russland sei die Zustimmung Putins nötig. Iwanischwili tat solche Äußerungen als Ausdruck der Verzweiflung Saakaschwilis und seiner Leute ab: „Sonst haben die nichts mehr zu sagen“, sagte er der F.A.Z. 2011. Auch viele klar nach Westen orientierte georgische Politiker arbeiteten damals mit ihm zusammen, schließlich bekräftigte er den Konsens zu EU und NATO.
Iwanischwili kündigte im Wahlkampf 2012 an, bei einem Sieg des Georgischen Traums werde er Ministerpräsident – aber nur für eine Übergangsperiode, dann ziehe er sich aus Politik und öffentlichem Leben zurück. Tatsächlich trat er nach einem Jahr als Regierungschef ab. Aber schon bald wurden Zweifel laut, ob das auch ein Abschied aus der Politik war. Die wichtigsten Mitglieder der Regierung waren zuvor Angestellte seiner Unternehmen, in der Justiz wurden wichtige Posten mit Rechtsberatern Iwanischwilis und Familienfreunden besetzt.
Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Als sich 2018 Risse in der Regierungspartei zeigten, kehrte er erstmals offen in die Politik zurück und übernahm wieder den Vorsitz. Drei Jahre später folgte sein nächster Abschied. Wieder sagte er, er habe seine Mission erfüllt. Aber noch mehr als bei seinem ersten Rückzug deutete vieles darauf hin, dass er aus dem Hintergrund herrschte. Fragte man in dieser Zeit Vertreter des Georgischen Traums nach Iwanischwilis Rolle, behaupteten sie, er habe keine. Aber frühere Politiker des Georgischen Traums bestreiten das – der ehemalige Ministerpräsident Giorgi Gacharia etwa, welcher der Partei bis zu seinem Rücktritt 2021 angehörte: „Er hat die öffentliche Politik verlassen, um die Politik illegal aus einer Grauzone heraus zu bestimmen“, sagte er der F.A.Z. über Iwanischwili.
Lob aus Moskau
Ende 2023 kehrte Iwanischwili dann wieder. Er machte sich zum Ehrenvorsitzenden des Georgischen Traums und bestätigte so die Vermutung, er habe Partei und Regierung immer kontrolliert. Seine Rückkehr begründete er unter anderem mit der schwierigen geopolitischen Lage, in der selbst der kleinste Fehler der Regierung schwere Folgen haben könne. Die hatte sich seit dem russischen Überfall auf die Ukraine mit Kritik an Moskau zurückgehalten und behauptet, nur sie könne verhindern, dass Georgien in den Krieg gezogen werde. Aus Moskau gab es dafür Lob – und die Wiederaufnahme von Flugverbindungen, die Russland 2019 nach antirussischen Demonstrationen in Tiflis gekappt hatte.
2022 ergaben Recherchen von Transparency International, dass Iwanischwili – entgegen seinen Behauptungen – über eine Offshore-Firma noch immer ein Unternehmen in Russland hält, das offiziell in der Immobilienbranche tätig ist. „Wir wissen nichts darüber, was dieses Unternehmen tut und warum er es noch hat“, sagt Sandro Kewchischwili von Transparency International in Tiflis. Nachvollziehen lässt sich nur, dass es Gewinn macht. Außerdem haben laut Transparency auch Verwandte Iwanischwilis Wirtschaftsinteressen in Russland.
Im Frühjahr 2022 wurden auf einem Telegramkanal Aufnahmen von Telefonaten Iwanischwilis mit dem unter westlichen Sanktionen stehenden russischen Oligarchen Wladimir Jewtuschenkow veröffentlicht. In familiärem Ton reden die beiden über mögliche Geschäfte. Iwanischwili sagt, Jewtuschenkows Leute sollten darüber mit dem Ministerpräsidenten reden. Um welche Geschäfte es ging, ist nicht bekannt – auch nicht, was daraus wurde. Doch Jewtuschenkow hat den Inhalt der Unterhaltungen bestätigt und damit den bestehenden Verdacht verstärkt, Georgien helfe Russland bei der Umgehung von Sanktionen.
Und dann ist da noch der Fall von Otar Parzchaladse, der seit Langem zum engsten Kreis um Iwanischwili zählt. Einer der Söhne Iwanischwilis ist Taufpate seines Enkels – solche Verbindungen zählen viel in Georgien. Iwanischwili hatte Parzchaladse 2013 zum Generalstaatsanwalt gemacht. Dieses Amt musste er jedoch rasch wieder aufgeben, nachdem bekannt geworden war, dass es in Deutschland einmal ein Strafverfahren gegen ihn gegeben hatte. Seither ist Parzchaladse Geschäftsmann mit Verbindungen nach Russland. Er ist russischer Staatsbürger geworden und steht seit September 2023 unter amerikanischen Sanktionen. Die USA verdächtigen ihn, mit dem russischen Geheimdienst FSB zusammenzuarbeiten.
Giga Bokeria glaubt nicht, dass Iwanischwili in direktem Auftrag Russlands handle. Im Verdacht, Sympathien für Iwanischwili oder Russland zu haben, steht Bokeria dabei nicht – im Gegenteil. Er wurde von Iwanischwili in seiner Rede vom April als einer der schlimmsten Feinde Georgiens gebrandmarkt. Bokeria leitete unter Saakaschwili Georgiens Sicherheitsrat und ist Iwanischwili mehrmals begegnet, als er nach der Wahl 2012 die friedliche Machtübergabe organisierte. Iwanischwili sei ein sehr sowjetisch denkender Mensch, sagt Bokeria. Er glaubt, Iwanischwili handle aus eigenem Antrieb. Dass das „russische Gesetz“ wieder eingebracht wurde, folge einem jahrealten Muster. „Wenn Iwanischwili unter dem Druck der Gesellschaft bei etwas nachgeben musste, kommt er damit wieder, um den Willen seiner Gegner zu brechen. Er hält jedes Zeichen von Schwäche für gefährlich.“ Letztlich sei es deshalb egal, ob Iwanischwili sich mit Moskau abstimme: „Mit einer Politik russischen Stils gerät Georgien automatisch in die russische Einflusssphäre.“