Ein ganzes Fußballerleben, gepackt in eine halbe Minute. Luka Modric dachte, es erlebt zu haben an diesem Abend von Leipzig. Der Mann hat mit Real Madrid mehrmals die Champions League gewonnen, zuletzt vor drei Wochen. Er hat sein Land in der vergangenen Dekade auf seinen schmalen Schultern zu einem zweiten und einem dritten Platz bei Weltmeisterschaften getragen, er kennt die süßen Momente des Sports und die bitteren.
Von beiden kostete er mehrfach an diesem Abend. Zuerst bitter, dann süß und dann am Ende noch viel bitterer. Von der Bank aus sah er das Unheil auf seine Kameraden zurollen. Ein letzter italienischer Angriff, achte Minute der Nachspielzeit. Drei gegen drei, der Pass von Calafiori kommt genau zu Mattia Zaccagni. Der trifft ihn perfekt mit der Innenseite.
Der Ball fliegt in einem perfekten Bogen, Modric kennt das Gefühl nur zu gut, wenn er auf diese Weise den Fuß verlässt. Der Schütze weiß dann schon, was Augenblicke später alle im Stadion wissen. Tor! Zaccagni zum 1:1. In letzter Sekunde. Italien ist damit gerettet, als Gruppenzweiter Achtelfinale. Kroatien Dritter, aber mit zwei Punkten kaum noch mit Chancen aufs Achtelfinale. Eine große Generation, Modrics Generation, steht vor dem Aus.
Der wichtige Elfmeter
Dass er zum Spieler des Spiels gewählt wurde, geschenkt. Lange sah es tatsächlich so aus, als würde es sein Abend sein. Im entscheidenden letzten Gruppenspiel gegen Italien gab es zu Beginn der zweiten Halbzeit einen lauten Aufschrei im Block der Kroaten. Handspiel! Der Schiedsrichter aber musste sich davon erst am Bildschirm überzeugen.
Dann sah auch er es. Elfmeter! Davide Frattesi hatte die Flugbahn des Balles tatsächlich mit der Hand verändert. Also schritt der zur Ausführung, den die Kurve forderte. Luka! Luka! Luka!
Modric hat viele Elfmeter geschossen während seiner Karriere, aber dieser gehörte ganz sicher zu den wichtigsten. Null zu Null der Spielstand, Kroatien zum Siegen gezwungen bei nur einem Punkt nach zwei Spielen. Und im Tor des Gegners eine menschliche Wand, mehr als zwei Meter groß. Gianluigi Donnarumma, der beste Torwart der EM bisher.
Modric schoss den Ball genau in die Ecke, in die der Italiener sprang. Für den Bruchteil eines Momentes war es so still, dass man das Klatschen des Balles hören konnte, als Donnarumma ihn hielt. 31 Sekunden später war es ohrenbetäubend laut und Luka Modric lag am Boden.
Dorthin gedrückt von allen Mitspielern des kroatischen Kaders. Donnarumma hatte einen Schuss des eingewechselten Ante Budimir stark pariert, aber der Versuch war zu wuchtig, um ihn festzuhalten. Der Ball landete Modric genau vor den Füßen und dieses Mal blieb er Sieger. Aus Respekt vor den langen Armen Donnarummas schoss er ihn hoch unter die Latte. Sicher ist sicher.
Italien haderte. Hätte Alessandro Bastoni den Ball in der ersten Halbzeit doch nur gegen die Laufrichtung des kroatischen Torhüters Dominik Livakovic geköpft. Hätte Frattesi die Hand doch im eigenen Strafraum hinter den Körper gehalten, so wie man das heute macht. So viel hätte.
Besser war Kroatien nicht, nur leidenschaftlicher. Aufgepeitscht von der wilden Meute auf den Rängen, die immer wieder Becher auf den Rasen warf und mit Pyrotechnik zündelte. Luka Modric sah ihnen in den letzten Minuten zu. Von der Bank aus. Dem alten Meister fehlt längst die Kraft für 90 Minuten. So kam es, dass er dem Unheil nur untätig zusehen konnte.