Hinter der Kirche La Madeleine gab es während der Olympischen Sommerspiele ein Angebot an Vorübergehende. „Nehmen Sie“, sagte ein junger Mann und hielt einen Basketball hin. Hinter ihm versuchten sich Groß und Klein. Sie warfen auf zwei etwas wackelige Korbanlagen. Sie lachten, sie spielten. Dann nahmen sie ihre Rucksäcke wieder auf, die Kinder an die Hand und zogen weiter. Die meisten in Richtung der Place de la Concorde, Heimstätte vier olympischer Sportarten in den vergangenen zwei Wochen. Das Beste der Olympischen Spiele ist ihre Kraft, Menschen zu bewegen. Paris hat bewegt.
Aber auf eine andere Art. Die unzähligen herzergreifenden Geschichten zu den Wettkämpfen der rund 10.500 Athleten lassen sich auch von London 2012, von Rio 2016 oder selbst von Tokio 2021, obwohl vor leeren Rängen wegen der Pandemie ausgetragen, erzählen. Das tägliche Drama des Weltsport-Theaters eint die Sommerspiele, egal wo sie stattfinden.
Die Urbanisierung der Spiele
Aber in Paris ließ sich etwas Neues beobachten: die Urbanisierung der Spiele, ihre Einbettung in das Leben einer pulsierenden Weltstadt. Sie fanden nicht überwiegend eingepfercht in einem schönen Park statt wie in Englands Hauptstadt, nicht auf einem riesigen Parkplatz hinter dem Berg vor der Copacabana. Paris öffnete sich, platzierte den Sport da, wo man gern und mal eben hingeht, an die schönsten Plätze, die berühmtesten Monumente.
Ein Spaziergang: vom Dôme des Invalides (Bogenschießen) über den Pont Alexandre III zum Triathlon und dann zur Place de la Concorde mit dem Jugendsport wie Skateboard. Olympische Spiele für Fußgänger. Selbst wenn es sie aus dem Zentrum zog nach St. Denis, blieb das Gefühl einer Verbundenheit dank der Transportschlagader. Es gab die „Olympic Lane“, die freie Fahrt auf eigens eingerichteten Spuren etwa für Herrschaften der olympischen Familie in Limousinen ermöglichte. Aber allein die Metro hätte für alle gereicht. Sie steht für die Idee, jedem alles zugänglich zu machen, es zumindest anzubieten.
Diesen Eindruck vermittelt das Internationale Olympische Komitee (IOC) unter dem scheidenden Präsidenten Thomas Bach nicht. Es gelang ihm zwar krampfhaft, mit Flüchtlingsteams und zu „neutralen Athleten“ erklärten Russen alle Welt einzuladen und die Weltpolitik wider Erwarten aus dem Sommerfest des Sports herauszuhalten. Aber die Spiele sind zu teuer. Familien können sich einen Besuch in der Arena kaum leisten. Das Problem lösten auch die Franzosen nicht, ohne Steuergelder für sozial Schwache einzusetzen. Aber sie waren die Ersten in der Geschichte der Spiele seit 1984 in Los Angeles, die einen Gewinn machten, die eine Öffnung versuchten, als sie Neugierigen Einblicke verschafften, ohne sie zur Kasse zu bitten. Ob es Absicht war, dass Zaungäste entspannt von der Mauer des Hôtel des Invalides das Bogenschießen verfolgen durften? Vielleicht.
Geplant war der Blick für Hunderttausende auf die Boote mit den Olympiamannschaften während der Eröffnungsfeier. Eine kluge Botschaft an die Pariser. Manche sahen vom Fenster, vom Balkon aus, wer da über ihre Seine zur Eröffnungsfeier glitt. Öffentlicher ist das Spektakel nicht zu organisieren. Allein die Sturheit des Organisationskomitees, aus purem Stolz auf ihre Idee an ihrem Fluss als Wettkampfstätte festzuhalten, irritierte. Denn es setzte auf gut Glück die Gesundheit der Athleten aufs Spiel. Manche wurden nach dem Triathlon und dem Freiwasserschwimmen krank.
Dennoch leuchtet Paris auch nach dem Erlöschen des olympischen Feuers. Bewerber für die noch nicht vergebenen Sommerspiele der Jahre 2036 oder 2040 werden sich etwas einfallen lassen müssen. Mit Nachhaltigkeit ist nichts mehr zu gewinnen. Das gehört zum Standard, wenn er auch Spielraum lässt für Verbesserungen. Die Franzosen, Seine-Klärung hin oder her, bauten nur eine neue Sportstätte. Ein Schwimmbad. Sie nutzten ihre vorhandene, polierte Infrastruktur, das, was eine Weltstadt einer Sportnation im Überfluss zu bieten hat: kleinere und große Arenen auf engem Raum. Dezentrale Konzepte, wie sie den Deutschen vorschweben, sei es das Rhein-Ruhr-Projekt oder die Idee, Berlin als Zentrale mit einer Dependance Hamburg zu verbinden, verblassen vor Paris 2024.
Die Bundesregierung plant, dem IOC eine deutsche Bewerbung für 2040 mit der Geschichte von der Wiedervereinigung schmackhaft zu machen. Sie wird dann ein halbes Jahrhundert alt sein. Eine zündende Idee gibt es bislang nicht. So lange wird das Bild der Bilder von den Spielen und Paris im Vordergrund stehen: von einem traumhaften Spiel im Beachvolleyball-Stadion am Fuße des Eiffelturms im Abendlicht der untergehenden Sonne. Es verbindet die Sehnsucht von Sportlern und Ingenieuren: immer wieder faszinierende Lösungen zu finden, um noch höher hinauskommen zu können. Paris ist das gelungen.