Kleinkinder können vom Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) schwer betroffen sein, Tausende müssen jedes Jahr in Kliniken behandelt werden. Ende vergangenen Jahres wurde der Antikörper Nirsevimab zugelassen, der Neugeborene und Babys vor schweren Verläufen schützen kann, im Juni hat die Ständige Impfkommission (STIKO) die Anwendung des Mittels im Herbst empfohlen – als Einmaldosis vor der ersten erlebten RSV-Saison, die üblicherweise zwischen Oktober und März auftritt. Doch wie viele Kleinkinder es tatsächlich erhalten können, ist noch offen.
Anders als bei herkömmlichen Impfungen, bei denen das Immunsystem durch die Gabe von Bestandteilen des jeweiligen Krankheitserregers zur Erzeugung von Antikörpern angeregt wird, wird in diesem Fall direkt der Antikörper verabreicht, sodass die Kinder sofort geschützt sind.
Das unter dem Handelsnamen Beyfortus vertriebene Nirsevimab werde in der Regel gut vertragen, schreibt das Robert-Koch-Institut (RKI) – nach der Verabreichung könnten vorübergehend Lokalreaktionen wie Schmerzen, Rötungen und Schwellungen an der Injektionsstelle oder ein Ausschlag auftreten. Das Mittel sei sehr wirksam und schütze gut vor schweren RSV-Erkrankungen der unteren Atemwege. Auch beeinträchtige es nicht den Aufbau einer natürlichen Immunantwort gegen RSV.
Langes Ringen um Erstattung der Kosten
Während die von der STIKO empfohlenen Impfungen von Krankenkassen erstattet werden, ist dies bei der RSV-Prophylaxe anders – da der Antikörper technisch nicht als Impfung eingestuft wird. Lange war daher offen, wann und auf welchem Wege die Kostenerstattung erfolgen kann, was Kinderärzte stark kritisiert hatten. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat Mitte September eine Verordnung erlassen, die den Anspruch auf eine einmalige Gabe des Mittels gewährleistet.
Anfang dieser Woche nun haben sich die Spitzenverbände der Krankenkassen und Kassenärzte auf eine Vergütung geeinigt: Laut Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen (BVKJ) erhalten Praxen gut vier oder knapp neun Euro für die Verabreichung, je nachdem auf welchem Weg sie den Antikörper beziehen. Ein Sprecher des Verbands zeigt sich schwer enttäuscht von der Honorierung, der Vorstand der Kassenärzte habe „offenbar die Interessen der Kinder- und Jugendärzte nicht richtig vertreten – und auch nicht die Interessen der Kinder“. Für das Honorar sei es nicht tragfähig, extra Sprechstunden zu eröffnen, um Hunderttausende Säuglinge zu immunisieren, für die der Antikörper empfohlen wird. Der Verband werde dies daher seinen Mitgliedern auch nicht raten. Da viele Aufenthalte in Kliniken und auf Intensivstationen verhindert werden könnten, zahlten sich die Kosten von mehreren hundert Euro für den Antikörper eigentlich schnell aus.
Kann der Antikörper ausreichend geliefert werden?
Das andere große Problem ist die Frage, wie viele Dosen des Antikörpers der Hersteller Sanofi überhaupt zur Verfügung stellen kann. Schon zuvor habe Sanofi Versprechen zur Lieferung nicht eingehalten, erklärt der Sprecher des BVKJ, nun sei erst zum 11. Oktober eine ausreichende Lieferfähigkeit versprochen worden, für eine rechtzeitige Immunisierung für die kommende Erkältungssaison sei das wie „ein Schlag ins Gesicht“.
Laut Paul-Ehrlich-Institut (PEI) könnte es eng werden, wenn das Mittel von allen berechtigten Kindern in Anspruch genommen werde. „Ab sofort“ könnten Kleinkinder den Schutz erhalten, erklärt der Krankenkassen-Spitzenverband zwar – aber in Bezug auf die Frage, wie viele Dosen voraussichtlich zur Verfügung stehen werden, verweist er an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, dieses wiederum zuständigkeitshalber an das PEI. Doch diesem liegen gleichfalls keine Angaben vor, es verweist auf Sanofi.
„Aus Wettbewerbsgründen“
Um allen Säuglingen in der kommenden Saison einen Schutz vor RSV bieten zu können, so eine Sprecherin von Sanofi, habe die Firma die Produktionskapazitäten des Antikörpers um das Dreifache erhöht. Erste Immunisierungen seien bereits erfolgt, indem französische und spanische Packungen bereitgestellt worden seien.
Von Oktober an würden kontinuierlich weitere Dosen für die Immunisierung ausgeliefert, „um ausreichend Dosen im Laufe der RSV-Saison im Markt zu haben“. Alle Säuglinge sollten versorgt werden können, erklärt die Sprecherin. Die Firma wolle aber keine Zahlen zum Produktionsvolumen und zu ausgelieferten Dosen nennen – „aus Wettbewerbsgründen“.
Sanofi werde wegen der europaweit hohen Nachfrage „eine größere Zahl an Dosen in deutscher Aufmachung dem deutschen Markt voraussichtlich erst in einigen Wochen zur Verfügung stellen können“, sagte der Sprecher von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Die Firma könne aber qualitativ gleichwertige US-Ware kurzfristig in Deutschland bereitstellen. Lauterbach habe sich daher entschieden, einen Versorgungsmangel bekannt zu geben, um den zuständigen Landesbehörden die Möglichkeit zu geben, Sanofi die Einführung der US-Ware zu gestatten.
Das entsprechende Dokument sei unterschrieben und solle Mitte kommender Woche veröffentlicht werden, Sanofi sei aber schon informiert und bereite sich vor. Auf die Frage, für wie viele Kinder Dosen nach Einschätzung des Bundesgesundheitsministeriums diesen Herbst zur Verfügung stehen werden, verweist der Sprecher auf die Pharmafirma, die hierzu keine Angaben machen möchte.
Im Falle einer eingeschränkten Lieferfähigkeit von Beyfortus sollten laut RKI zuerst Säuglinge den Antikörper erhalten. Sie gehören zu den Risikogruppen für eine schwere RSV-verursachte Erkrankung. Hierzu zählten auch Frühgeborene und Kinder mit bestimmten Lungenerkrankungen und Herzfehlern, mit Trisomien, schwerer Immunschwäche oder neuromuskulären Erkrankungen. Seit einem Jahr ist auch eine Impfung zugelassen, die Schwangere erhalten können, um indirekt das Kind schon vor seiner Geburt vor schweren Verläufen durch künftige RSV-Infektionen zu schützen.