Joe Biden hat seine Wirtschaftspolitik oft selbst „Bidenomics“ genannt. Er hat gesagt, das sei im Prinzip nur eine andere Formulierung für den „amerikanischen Traum“. Es sei eine Wirtschaft, die Wachstum von unten nach oben bringe und nicht umgekehrt. Das Wortspiel mit Bidens Namen hatte indes nicht den gewünschten Effekt. Viele Amerikaner sahen den Begriff nicht als etwas Positives, weil sie fanden, wegen hoher Inflationsraten und Hypothekenzinsen sei ihr Leben in den Biden-Jahren teurer geworden. Mittlerweile hat der Präsident offenbar gemerkt, dass er mit dem nach ihm benannten Schlagwort nicht punkten kann, zuletzt war es kaum noch von ihm zu hören.
Hier liegt nun auch eine zentrale Herausforderung für Kamala Harris, die nach Bidens Rückzug mit hoher Wahrscheinlichkeit die Kandidatin der Demokratischen Partei für die Präsidentenwahl im November sein wird. Wo Biden angreifbar ist, ist sie es als seine Vizepräsidentin auch, jedenfalls mehr, als dies bei anderen Kandidaten der Fall wäre. Und ob berechtigt oder nicht: Amerikaner haben in Umfragen ein ums andere Mal mehrheitlich bekundet, ihrer Meinung nach sei Donald Trump besser für die Wirtschaft als Joe Biden. Harris wird also in ihrer Kampagne gerade mit Blick auf die Wirtschaftspolitik viel Überzeugungsarbeit zu leisten haben.
Der frühere Präsident Ronald Reagan hatte die Amerikaner einst in seinem Wahlkampf gefragt: „Geht es euch heute besser als vor vier Jahren?“ Das taten in jüngster Zeit auch Trump und Biden, wenngleich mit unterschiedlichen Botschaften. Trump argumentiert, unter ihm sei alles besser gewesen, womit er voraussetzt, dass ihm nichts, was nach Beginn der Corona-Pandemie geschah, angelastet werden sollte. Bis dahin waren die Wirtschaftsdaten tatsächlich überwiegend solide, das scheinen auch viele Amerikaner so in Erinnerung zu haben.
Die US-Wirtschaft steht heute gut da
Biden wiederum hat den Vier-Jahres-Vergleich genutzt, um Trumps fragwürdiges Pandemiemanagement hervorzuheben. Die Verantwortung für die hohen Inflationsraten in seiner Amtszeit hat er auf Pandemiefolgen und den Krieg in der Ukraine geschoben, wenngleich es wohl auch ein Faktor war, dass er in einer Zeit, in der sich schon inflationäre Tendenzen abzeichneten, noch ein gigantisches zusätzliches Corona-Hilfsprogramm angestoßen hat.
Insgesamt kann Biden aber mit Recht behaupten, dass die US-Wirtschaft heute gut dasteht. Der Internationale Währungsfonds (IWF) sprach kürzlich sogar von einer „bemerkenswerten Entwicklung“ und verwies auf einen weiterhin stärker als erwarteten Arbeitsmarkt sowie Realeinkommen, die das Niveau vor der Pandemie wieder überschritten hätten. Trotzdem sind viele Amerikaner der Ansicht, ihre Kaufkraft sei unter Biden geschwunden. Harris muss fürchten, dass diese Unzufriedenheit auf sie projiziert wird.
Harris steht weiter links als Biden, aber bleibt pragmatisch
Als Vizepräsidentin hat Harris wirtschaftspolitisch kaum Distanz zu Biden erkennen lassen, was auf Kontinuität im Falle ihres Wahlsiegs hindeuten würde. In ihrer früheren Karriere als Senatorin oder kalifornische Generalstaatsanwältin hat sie aber bisweilen auch etwas andere Akzente gesetzt. Sie hat sich zum Teil noch kritischer zu freiem Handel als Biden geäußert, sie hat höhere Unternehmenssteuern als er gefordert und auch beim Klimaschutz einen aggressiveren Kurs verfolgt.
Politisch steht sie als also weiter links als Biden, allerdings nicht dogmatisch, sondern durchaus pragmatisch. Als sie erstmals für das Präsidentenamt kandidierte, bewegte sie sich im Vorwahlkampf der Demokraten zwischen Vertretern des linken und des moderaten Lagers. Sie hat es auch verstanden, gute Verbindungen in die Unternehmenswelt zu pflegen, gerade zur Technologiebranche in ihrer kalifornischen Heimat.
Fiskalische Disziplin ist von keiner Seite zu erwarten
Trump hat sich in jüngster Zeit die Unterstützung einiger prominenter Wirtschaftsvertreter gesichert, darunter auch solche, die sich nach dem Sturm aufs Kapitol noch in deutlichen Worten von ihm abgewandt hatten. Er verspricht ihnen niedrigere Steuern und weniger Regulierung. Harris wird das nicht tun, dafür ließe sie auf Berechenbarkeit und stabile Rahmenbedingungen hoffen. Fiskalische Disziplin hätte wohl für keinen der Kandidaten Priorität, obwohl sie dringend nötig wäre, der IWF hat die anschwellenden amerikanischen Staatsschulden gerade als Risiko für die Weltwirtschaft beschrieben.
Auch Amerikas wachsende Aversion gegen Freihandel dürfte sich fortsetzen. Harris würde wohl eine gezieltere Handelspolitik verfolgen als Trump, der Pauschalzölle auf alle Einfuhren vorschlägt. Aber „America First“ wird gelten, egal wer es ins Weiße Haus schafft.