Nasrin Jalali steht an einem Feld, lächelt in die Kamera und streckt ihre Hand gen Himmel, die Finger zum Siegeszeichen geformt. Die 58 Jahre alte Exiliranerin trägt auf dem Foto Mütze, Wanderschuhe und eine rote Jacke. In der Hand hält sie einen Sticker, der an die Flagge Irans erinnert. „Women Life Freedom“, steht darauf, der Spruch der iranischen Protestbewegung gegen das Mullah-Regime. Das Bild, das Jalali von sich auf ihrem Instagram-Kanal geteilt hat, zeigt sofort, dass sie sich auf einer besonderen Mission befindet: Sie läuft zu Fuß mehr als 500 Kilometer von Frankfurt nach Berlin. Pünktlich zum Weltfrauentag am 8. März will sie dort ankommen. „Mein Marsch soll auf das Leid der Menschen und besonders der Frauen in Iran aufmerksam machen“, sagt die Aktivistin.
Jalali, zierlich, dunkle Haare, wache Augen, wurde in Teheran geboren. Sie war zwölf Jahre alt, als die Islamische Revolution ausbrach und streng Religiöse an die Macht kamen. Seitdem schränkt die Regierung insbesondere die Rechte von Frauen immer weiter ein. „In meiner Heimat werden die Menschen gefoltert und hingerichtet“, sagt Jalali, die seit 1993 in Deutschland lebt, „ich kämpfe dafür, dass sich das ändert!“ Hoffnung habe sie im Herbst 2022 geschöpft, als die Proteste nach dem Tod der 23 Jahre alten Mahsa Jina Amini einen neuen Höhepunkt erreichten. Heute sei das Thema in der deutschen Politik wieder in den Hintergrund gerückt. „Die Menschen in Iran dürfen nicht vergessen werden“, sagt Jalali. Ihr Fußmarsch stehe symbolisch dafür, dass Veränderung möglich sei – durch viele kleine Schritte.
Seit elf Tagen ist sie unterwegs, am 24. Februar lief sie in Frankfurt los. Bei Nieselregen und fünf Grad hatten sich rund 40 Menschen versammelt, um Jalali zu verabschieden. Viele hatten Geschenke dabei, die ihr auf ihrem Weg helfen sollten: Blasenpflaster, Traubenzucker, Obst. Und noch etwas packte die Aktivistin in ihren Rucksack: die Forderungen der Organisation „Voice of Iranians“ aus Frankfurt, eines Zusammenschlusses von Exiliranerinnen, an die Bundesregierung. Weil das iranische Regime Menschen im eigenen Land umbringe und auch in anderen Teilen der Welt für Krieg und Leid verantwortlich sei, dürfe die Bundesregierung nicht untätig zusehen. So fordert die Organisation den sofortigen Stopp von Abschiebungen nach Iran, die seit Jahresbeginn wieder möglich sind.
40 Kilometer am Tag
Die lange Strecke bis in die Hauptstadt ist für Jalali eine Herausforderung. Jeden Tag früh aufstehen, dann 40 Kilometer Fußmarsch. Laufen, laufen, laufen, bis es dunkel wird. Immer wieder hat sie kein Mobilnetz. Einmal verliert sie in einem Wald die Orientierung, läuft sechs Kilometer im Kreis, bis sie zurück auf den Weg findet. Dazu die Kälte, der schwere Rucksack. Die Beine brennen, der Rücken schmerzt. „Aber das ist nichts im Vergleich zu dem, was die Menschen in Iran ertragen müssen“, sagt Jalali, „jeder Schritt, den ich gehe, ist für sie.“
Kraft geben ihr auch die Menschen, denen sie begegnet. Eine Frau hat sie ein Stück des Wegs begleitet und sich mit ihr über Frauenrechte unterhalten. Bei Fulda luden zwei Männer sie auf eine Tasse Tee ein.
Gerade ist sie im Norden von Sachsen-Anhalt unterwegs. Sie schickt Fotos von winterkahlen Bäumen, weiten Feldern, und kleinen Dörfern. Und immer wieder auch Selfies mit ihren Wegbegleitern auf Zeit: eine ältere Dame, ein Mann mit Glatze, eine junge Frau. Sie halten einen großen Sticker hoch: „Women, Life, Freedom“. Jalali und die Menschen lachen in die Kamera, die Sonne scheint ihnen ins Gesicht. „Ich hoffe, dass ich bei den Menschen, denen ich begegne, Spuren hinterlasse“, sagt Jalali, „und sie meine Botschaft weitertragen.“ Noch 150 Kilometer bis Berlin.
Wer Jalalis Reise verfolgen möchte, kann das auf Instagram tun.