Der Libertäre Javier Milei hat sich in der Stichwahl um die Präsidentschaft Argentinien klar durchgesetzt. Milei holte fast 55,7 Prozent der gültigen Stimmen im Duell gegen seinen Kontrahenten von der Mitte-links-Regierung, den Wirtschaftsminister Sergio Massa. Schon bevor die offiziellen Wahlergebnisse am Sonntagabend feststanden, ließen die Nachwahlumfragen und durchgesickerte Zwischenergebnisse immer weniger Zweifel an Mileis Sieg. Als Massa sich an die Öffentlichkeit wandte und seine Niederlage eingestand, fielen sich in der Wahlkampfzentrale Mileis seine Mitstreiter in die Arme. Auf der Straße vor dem Hotel brach die Menge von Milei-Anhängern in Jubel und Gesang aus, als hätte Argentinien einen weiteren Weltmeistertitel geholt.
Milei ließ sich Zeit für seinen Auftritt. „Freiheit, Freiheit!“, schrien die Gäste im Saal. „Es scheint so“, sagte Milei lächelnd. Heute beginne der Wiederaufbau Argentiniens, versprach Milei. Man werde zu den Ideen der Gründungsväter zurückkehren, durch die Argentinien zu einem der reichsten Länder der Welt geworden sei. Die großen Probleme, denen das Land gegenüberstehe, ließen sich nur mit mehr Freiheit lösen. Das Modell der Ineffizienz, das jahrzehntelang regiert habe, müsse beendet werden. „Argentinien hat eine Zukunft“, sagte Milei, „und sie ist liberal“.
Milei war als leichter Favorit in die Stichwahl gegangen. Die letzten Umfragen eine Woche vor der Wahl hatten jedoch ein enges Rennen vorausgesagt. Massa war es in der Schlussphase des Wahlkampfes nicht gelungen, Wähler aus der Mitte zu mobilisieren. Anders Milei. Ein entschiedener Faktor war dabei die Unterstützung durch die im ersten Wahlgang ausgeschiedene Kandidatin des konservativen Oppositionsbündnisses, Patricia Bullrich, sowie den früheren Präsidenten Mauricio Macri. Die beiden hatten sich kurz nach dem ersten Wahlgang und ohne Absprache mit ihrer Partei hinter Milei gestellt, was sie mit der Notwendigkeit des Wandels begründeten, den nur Milei gewährleisten könne. In seiner kurzen Rede bedankte sich Milei bei Macri und Bullrich, die „den Wandel ermöglicht“ hätten, den Argentinien brauche.
Der politische Kuhhandel beginnt
Was Macri im Gegenzug fordert, ist nicht bekannt. Nach dem Zusammenschluss mit Macri schlug Milei einen versöhnlicheren Kurs ein und relativierte mehrere seiner radikalen Forderungen, beispielsweise die Kürzung aller Sozialhilfen oder die Abschaffung einer Reihe von Ministerien sowie der Zentralbank. Ob Persönlichkeiten aus dem Macri-Lager in der künftigen Regierung Platz finden werden, ist Gegenstand von Spekulationen. Milei sagte, dass alle willkommen seien. „Was uns vereint, ist wichtiger, als was uns trennt.“
Nicht nur für die Wahl war Milei auf einen starken Verbündeten angewiesen. Auch als Präsident wird er es sein, will er auch nur einen kleinen Teil seiner Versprechen umsetzen. Sein libertäres Bündnis „Die Freiheit schreitet voran“ verfügt nur über eine kleine Zahl von Sitzen. Das traditionelle konservative Bündnis um den früheren Präsidenten Macri ist allerdings in dieser Wahl stark strapaziert worden. Einige Beobachter sprechen auch von einem Bruch. Die Wahl wird unweigerlich zu einer Neuordnung der politischen Bündnisse und Kräfteverteilung führen. Ob es Milei gelingen wird, Mehrheiten zu schmieden, bleibt deshalb abzuwarten. Derweil wird die Peronistische Partei in die Opposition gedrängt, was die radikalen Kräfte um die frühere Präsidentin und heutige Vizepräsidentin Cristina Kirchner beflügeln könnte.
Ein ebenso großes Fragezeichen ist das Kabinett des künftigen Präsidenten. Für den Regierungswechsel bleiben Argentinien lediglich drei Wochen. Das ist eine kurze Zeit für einen gewählten Präsidenten, weder politische Erfahrung noch eine starke Partei mit herausragenden Leuten im Rücken hat, um die wichtigen Posten in der Regierung und im Staat zu besetzen – so minimal dieser nach den Vorstellungen Mileis auch werden könnte. Gleichzeitig ist die Wirtschaftslage sehr angespannt. Argentiniens Situation sei kritisch, sagte Milei selbst. Argentinien kämpft gegen eine jährliche Inflation von fast 150 Prozent an, vier von zehn Argentiniern sind arm. Das Land ist tief verschuldet und kämpft permanent gegen den nächsten Bankrott an. Eine Dollarisierung, wie Milei sie verspricht, hätte Ökonomen zufolge hohe soziale Kosten. Ein solcher Schritt fände gegenwärtig keine große Zustimmung in der Wirtschaft und auch in der Bevölkerung nicht, wie Umfragen zeigen. Und für die Reformen, die der künftige Präsident umsetzen will und die von großen Teilen der bisherigen Opposition mitgetragen werden dürften, braucht es Zeit – die dem Land auch nach dem Regierungswechsel davonlaufen wird.