Es sind Putins Aufgaben. Als wichtigste nennt Beloussow den „Sieg“ in der „speziellen Militäroperation“, dem Angriffskrieg gegen die Ukraine, bei „minimalen menschlichen Verlusten“. Beloussow spricht von seiner Verantwortung gegenüber Land, Volk und Präsident und nennt sein „stahlbetonhartes Prinzip: Irren darf man sich, lügen nicht.“
Russlands neuer Verteidigungsminister ist 65 Jahre alt und hat in der akademischen Welt gearbeitet, bis er Mitte vierzig war. Dann begann er eine erfolgreiche Laufbahn in Staatsämtern. Die Armee ist dem Moskauer Elitezögling fremd, nicht einmal Grundwehrdienst soll er geleistet haben. Auch in seinen ersten Sitzungen als Verteidigungsminister, am Mittwochnachmittag unter Putins Vorsitz im Kreml, trägt Beloussow Anzug. Er steht brav auf, als der Präsident ihn den Funktionären und Militärs vorstellt, die ihn natürlich längst kennen.
Noch hat Beloussow das zivile Auftreten nicht gegen eine Uniform getauscht wie die Zivilisten aus dem Umfeld seines Vorgängers (und Ingenieurs) Sergej Schojgu, die bisher im Verteidigungsministerium das Sagen hatten. Putin macht klar, dass er große Stücke auf Beloussow hält, gerade weil der ein Mann der Zahlen ist. Beloussow werde auf dem neuen Posten „das im Blick haben, womit er sich sein ganzes Leben beschäftigt hat: die Wirtschaft“, sagt der Präsident. „Das ist sehr wichtig.“ Und das könnte für die Ukraine und deren westliche Unterstützer eine sehr schlechte Nachricht sein.
Unter Schojgu müssen horrende Schmiergelder geflossen sein
Putin bricht mit Beloussows Ernennung mit einer Gewohnheit: Zwar setzt Russlands Herrscher im zivilen Bereich seit Langem auf fähige Kräfte. Leute wie sein Finanzminister, seine Zentralbankchefin und bisher auch Beloussow, der von 2020 an als Erster Stellvertretender Ministerpräsident für Russlands Wirtschaft zuständig war, halten diese über alle Widrigkeiten hinweg am Laufen, bauen sie unter der Devise „Alles für die Front, alles für den Sieg“ zu einer Kriegswirtschaft um. Aber an die Spitzen der sogenannten Kraftstrukturen – Polizei, Geheimdienste, Nationalgarde, Militär – hat Putin bisher Gefolgsleute platziert, die ihm loyal ergeben, aber nicht immer kompetent waren.
Beloussows Vorgänger als Verteidigungsminister war ein Paradebeispiel dafür. Die Russen kennen Schojgu auch von Männerfreundschaftstrips mit Putin durch die sibirische Wildnis, die Kameras begleiteten. Zugleich zeigen zahlreiche Recherchen, die meist von Mitstreitern des in russischer Haft ums Leben gekommenen Antikorruptionskämpfers Alexej Nawalnyj stammen, die palastartigen Luxusanwesen Schojgus, seiner Stellvertreter und anderer ranghoher Funktionäre. Unter Schojgu, der das Verteidigungsministerium von November 2012 bis zum vergangenen Sonntag elfeinhalb Jahre lang führte, müssen horrende Schmiergelder im Beschaffungswesen die Regel gewesen sein. Für Putin war das jahrelang kein Problem – es kümmerte nur die regimekritische Minderheit.
Doch seit dem Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 müssen viele Familien und Freunde von Soldaten diesen selbst Schlafsäcke und warme Kleidung kaufen. Die Männer schicken Fotos von alten, teils rostigen Waffen nach Hause. Darüber wuchs der Unmut. Korruption, Ineffizienz, Bürokratie, Schwierigkeiten bei Ausrüstung, Kommunikation und Logistik sowie die Hartleibigkeit alter sowjetischer Denkweisen erscheinen als hausgemachte Feinde der russischen Streitkräfte – und als natürliche Verbündete der ukrainischen Verteidiger. Denn jeder Rubel, der statt für Waffen und Munition für Villen an der sogenannten Rubljowka, der Milliardärsmeile westlich von Moskau, oder für Reisen nach Dubai ausgegeben wird, bremst Putins Landnahme.
Seinen wichtigsten Verstärker fand der Unmut in Jewgenij Prigoschin: Der Milizenführer, der selbst durch Staatsaufträge reich wurde, entwickelte politischen Ehrgeiz und begann, gegen die Spitze des Verteidigungsministeriums zu hetzen. Auch gegen den von „goldenem Geschirr“ essenden Schojgu und dessen Familie. Unter dem Schlachtruf „Gebt Munition!“, aufgenommen vor Leichen russischer Freischärler, eskalierte Prigoschin den Machtkampf. Putin vermied es, zwischen seinen rivalisierenden Gefolgsleuten zu entscheiden. Bis Prigoschin im Juni vorigen Jahres den Aufstand probte, aber nach einem Tag abbrach und zwei Monate später mitsamt seiner Führungsriege ums Leben kam, als sein Flugzeug nahe Moskau abstürzte. Danach erlahmte die Kritik an Schojgu und der übrigen Armeeführung. Auch weil es auf dem ukrainischen Schlachtfeld wieder besser lief. Doch jetzt zeigt sich, dass Putin nur auf eine Gelegenheit wartete, seinen Angelfreund Schojgu auszutauschen.
Beloussow soll das Militär „effizienter“ machen
Sie kommt, als Putin nach seinem Amtsantritt zur fünften Präsidentschaft ohnehin die Regierung neu zu ernennen hat. Putin macht Schojgu zum Sekretär des Sicherheitsrats, gibt ihm eine Reihe von Aufgaben. Er dankt dem Weggefährten öffentlich, macht aber zugleich klar, warum er jetzt auf Beloussow setzt. In Gegenwart Schojgus verweist er im Kreml auf das steigende Budget für Verteidigung und Sicherheit. Es mache schon rund 8,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, sagt Putin. Mitte der Achtzigerjahre, zu sowjetischer Zeit, seien es mit rund 13 Prozent zwar noch mehr gewesen. Doch gehe es um bedeutende Ressourcen, die „sorgsam und effizient“ vergeben werden müssten. Die Mittel für die „Spezialoperation“ müssten „auf die effizienteste Weise“ eingesetzt werden, denn „je effizienter, genauer und stärker die Kampfmittel, desto weniger Verluste haben wir“.
Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Schojgu, das wird klar, ist dem in Putins Augen nicht mehr gewachsen, ist nicht effizient genug – anders als Beloussow. Der steht selbst nicht im Ruch, korrupt zu sein. Fragen wirft bisher nur sein 1994 geborener Sohn auf. Pawel Beloussow hat zusammen mit seiner Frau ein Unternehmen, das nach eigenen Angaben ein Ministerium und die Staatsstrukturen Rostec, Roskosmos und Rosatom berät und das nach Journalistenrecherchen im vergangenen Jahr seinen Gewinn aus unerfindlichen Gründen um ein Vielfaches auf umgerechnet knapp sechs Millionen Euro steigerte. Nach Moskauer Maßstäben ist das freilich bescheiden.
Putin zufolge soll Beloussow das Verteidigungsministerium auch „so weit wie möglich öffnen, um das Beste zu übernehmen, das Modernste, alles, was unsere Jungs, unsere Kämpfer, unsere Helden der speziellen Militäroperation auf dem Schlachtfeld für eine erfolgreiche Arbeit verwenden können und müssen“. Praktisch heißt Putins Ruf nach mehr „Innovation“, dass noch mehr Ukrainer noch schneller getötet werden sollen, um Kiew militärisch niederzuringen oder zur Kapitulation zu zwingen.
Beloussow hat einschlägige Erfahrung, war als Erster Stellvertretender Ministerpräsident unter anderem für ein Staatsprojekt zur Drohnenherstellung verantwortlich. Zudem war er Moskaus Mann an der Spitze einer gemeinsamen Investitionskommission mit China. Von dort kommen nach amerikanischen Angaben wichtige Bau- und Ersatzteile für die russische Rüstungsindustrie. Schon nach wenigen Tagen im Amt reist Beloussow nach China, als Mitglied von Putins großer Delegation. Wohl auch, um alte Verbindungen zu pflegen und neue zu knüpfen.
Kompetent, erfahren, vernetzt: Das macht Putins neuen Verteidigungsminister zu einem Problem für Kiew und den Westen, mit dem sich Russlands Herrscher in einem langfristigen Ringen mit vielen Schauplätzen sieht. Beloussow hat zwar keine Hausmacht im Verteidigungsministerium. Unter einfachen Soldaten, die den Funktionären in Moskau misstrauen, dürfte das aber eher ein Plus sein. Und Putin, der keine Rivalen duldet, würde einen Mann von eigener Stärke in seinem wichtigsten Ministerium jetzt noch weniger hinnehmen als vor Prigoschins Aufstand, der ihn schwach aussehen ließ. Er will mit Beloussow einen „effizienten Manager“ für Armee und Rüstung – und selbst der siegreiche Feldherr sein.
Auf dem Schlachtfeld läuft es derzeit wieder besser für Russland. Die westlichen Unterstützer der Ukraine zögern, zagen und zaudern, während die russischen Truppen Dorf um Dorf vorrücken. Putin sieht sich im Abnutzungsringen im Vorteil. „Die Jungs kämpfen, sie kämpfen gut, erfolgreich, verbessern an der ganzen Front ihre Lage, das passiert jeden Tag“, sagt er im Kreml. „Wir müssen alles tun, was von uns abhängt, damit sie alles Nötige haben, um die vor ihnen stehenden Aufgaben weiter zu lösen.“
Geheimdienst und Justiz helfen beim Durchgreifen
Putin versteckt sein Eingreifen in militärische Entscheidungen nicht, sondern hebt hervor, dass er mit den Kommandeuren in Kontakt steht. Die operative Kriegsführung übernehmen der Präsident als Oberbefehlshaber und der Generalstab, der unverändert bleibt. Beloussow soll der Armee den Rücken stärken. Seinen fehlenden Durchgriff auf den Verteidigungsapparat kompensieren Putins Geheimdienst FSB, Ermittler und Justiz. Einer von Schojgus fabelhaft reichen Stellvertretern ist schon Ende April unter dem Vorwurf, Schmiergeld angenommen zu haben, in Untersuchungshaft genommen worden.
Zudem läuft ein zweites Korruptionsverfahren, in dem gerade ein weiterer ranghoher Funktionär des Ministeriums inhaftiert worden ist. In den Mitteilungen dazu heißt es stets, dass die Ermittlungen andauerten und weitere Vorgänge und Personen in den Blick geraten könnten. Aus dem FSB wird zusätzlich von Staatsverratsvorwürfen geraunt. Schojgus Leuten, die jahrelang unantastbar waren, drohen jetzt lange Haftstrafen. Da nimmt es nicht wunder, dass weitere seiner Stellvertreter gerade ihre Entlassung beantragt haben sollen. Sie dürften hoffen, in dem, was man in Russland Säuberungen nennt, verschont zu bleiben.
Zu Putins positivem Bild von Beloussow gehört vermutlich, dass der Wissenschaftler nicht bloß ein kluger Organisator ist. Er ist auch kein wirtschafts- oder, wie man in Russland sagt, systemliberaler Kopf. Beloussow wird vielmehr als „gossudarstwennyk“ beschrieben, als Verfechter eines starken, bestimmenden, eingreifenden Staates. Im russischen Verständnis schwingt mit, dass das Wort für Staat, „gossudarstwo“, von „gossudar“ kommt, dem Fürsten oder Herrscher: Ihm ist das Gemeinwesen schon semantisch untertan.
Beloussow hieß die Krimannexion gut
Beloussow steht in einer Familientradition. Schon sein Vater war sowjetischer Ökonom. Rem Beloussow sei als Patriot davon überzeugt gewesen, dass man sein Land stärken müsse, erzählt der jüngere Bruder des Ministers, Dmitrij Beloussow, selbst Wirtschaftswissenschaftler. Andrej Beloussow beendete seine akademische Karriere 2006 für eine Funktionärslaufbahn, wurde stellvertretender Minister für Wirtschaftsentwicklung. 2008 stieß Beloussow zum damaligen Ministerpräsidenten Putin, der ihn zum führenden Ökonomen des Regierungsapparats machte.
Als Putin 2012 ins Präsidentenamt zurückwechselte, wurde Beloussow Minister für Wirtschaftsentwicklung. Doch schon nach gut einem Jahr holte Putin ihn als Wirtschaftsberater zu sich. Das unabhängige Wirtschaftsportal „The Bell“ berichtet, 2014 sei Beloussow der einzige Vertreter von „Putins Wirtschaftsumfeld“ gewesen, der die Annexion der ukrainischen Krim begrüßt habe. Beloussow wird zudem mit einer unpopulären, aber für die Staatsfinanzen wichtigen Mehrwertsteuererhöhung verbunden. Außerdem gelang es ihm, nach dem Überfall auf die Ukraine die Staatseinnahmen aus dem Rohstoffgeschäft zu erhöhen.
Das ist für Beloussow kein Selbstzweck. Er teilt Putins Bild von Russlands Rolle in der Welt, von imperialer und normativer Sendung. Beloussow gibt nicht oft Interviews, aber während des Petersburger Wirtschaftsforums im Juni vorigen Jahres äußert er sich gegenüber dem Medium „RBK“ ausführlich. „Russland kann der Bewahrer traditioneller Werte des Westens werden“, sagt er. Da klingt er ganz wie Putin und die Vertreter der kremltreuen Russischen Orthodoxen Kirche, in der Beloussow als Messdiener wirken soll. Den Krieg rechtfertigen sie auch mit dem Kampf gegen die Rechte Homosexueller und anderer Minderheiten.
Der Westen sei kein „Feind“, denn für „große gesellschaftliche Schichten“ dort, die „traditionellen Werten verbunden“ blieben, könne sich Russland als „rettender Strohhalm“ erweisen, sagt Beloussow weiter. Russlands wichtigste Ressource sei „eine eigene kulturelle Identität, welche die große Mehrheit der Länder und Völker nicht haben“. Der Ökonom wird zum Prediger. Die Russen müssten spüren, „dass sie Träger dieses kulturellen Codes sind“, sagt Beloussow und postuliert wie Putin, dass sich Russlands „neue Eliten jetzt in den neuen Territorien herauskristallisieren“. So nennt Moskau die 2022 annektierten Gebiete der Ukraine.