Die 70.000-Einwohner-Stadt Jewlach dürfte an diesem Donnerstag zum Schauplatz der jüngsten Siegesvorführung von Ilham Alijew werden. Nach nur einem Kriegstag haben die Truppen des aserbaidschanischen Machthabers unter russischer Vermittlung den Vertretern der Karabach-Armenier am Mittwochvormittag eine Waffenruhe abgerungen, deren Bedingungen auf ein Ende der politischen Eigenständigkeit von Nagornyj Karabach hinauslaufen, womöglich gar auf ein Ende des armenischen Lebens in der Region. Jewlach liegt nordöstlich des Konfliktgebiets in Zentralaserbaidschan. Dort sollen „Vertreter der örtlichen armenischen Bevölkerung“ aus Nagornyj Karabach auf „Vertreter der Zentralgewalt“ aus Baku treffen und über ihre „Reintegration“ und ein künftiges Leben „im Rahmen der Verfassung Aserbaidschans“ sprechen.
Die Karabach-Armenier dürften, um aus ihrer „Hauptstadt“ Stepanakert (für Aserbaidschan Chankendi) nach Jewlach zu kommen, die Route über den zerstörten Ort Agdam nehmen. Dieser ist schon in den vergangenen Monaten zu einem Symbol der aserbaidschanischen Bestrebungen geworden, nach dem Erfolg im bisher jüngsten großen Waffengang vor bald drei Jahren auch den Rest von Nagornyj Karabach unter Kontrolle zu bringen. Im vergangenen Dezember begann Baku eine Blockade des Latschin-Korridors, der Versorgungsroute aus der Republik Armenien nach Nagornyj Karabach. Seit Mitte Juni wurden auch keine Hilfslieferungen der russischen Friedenstruppen und des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) mehr durchgelassen.
Auf dem Schlachtfeld chancenlos
Die Bewohner Nagornyj Karabachs, nach armenischen Angaben 120.000 Menschen, litten unter Mangel an Essen, Elektrizität, Medikamenten, Gas, Treibstoff. Baku bot in dieser Zeit die vollständig aserbaidschanisch kontrollierte Route über Agdam als Alternative für Versorgungskonvois an. Die Karabach-Armenier lehnten das lange ab. Zuletzt wurde ihre Not aber so groß, dass sie sich darauf einließen. Russische Hilfe kam so in die Region. Dann verständigten sich die Karabach-Armenier mit Baku auf die „simultane“ Öffnung der Agdam-Route und des Latschin-Korridors, und auch das IKRK konnte am Montag humanitäre Hilfe liefern. In Baku dürfte da die Entscheidung für die am Dienstag begonnene „Antiterroroperation“ längst gefallen sein. Seit einigen Wochen hatte es Berichte über einen aserbaidschanischen Aufmarsch an der Kontaktlinie zu Nagornyj Karabach gegeben.
Alijew konnte dabei, wie stets, auf seinen mächtigsten Unterstützer zählen, den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Schon dessen Auftritt bei der Siegesparade 2020 in Baku ließ vermuten, dass der damalige Krieg eine Fortsetzung haben würde. Dass letztere nun so kurz war, liegt an den Positionen Armeniens und Russlands. Es gab zwar vielerlei Aufrufe an Alijew, die Militäroperation gegen Nagornyj Karabach einzustellen, aus Kanada, Frankreich, Japan, Amerika, Deutschland.