Für einen erfolgreichen Abschiebeflug von Deutschland nach Bulgarien, Flugzeit zweieinhalb Stunden, braucht es eine Menge Glück. Deutlich wird das an einem konkreten Fall aus dem Landkreis Bad Kreuznach, bei dem die Ausgangslage ganz ähnlich war wie bei Issa Al H., dem mutmaßlichen späteren Attentäter von Solingen. Ein Syrer reiste eindeutig über mehrere sichere Drittstaaten nach Deutschland ein. Zuerst hatte er in Bulgarien europäischen Boden betreten. Bulgarien erklärte sich sogar bereit, den Mann zurückzunehmen, also dem deutschen Übernahmeersuchen zuzustimmen.
In den ersten Monaten dieses Jahres hat Deutschland nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge 43.000 solcher Ersuchen an andere EU-Mitgliedstaaten nach den Dublin-Verordnungen gestellt. In 25.000 Fällen haben die angefragten Staaten diesen zugestimmt. Überstellt wurden aber nur 3500 Asylsuchende. Der Fall in Bad Kreuznach erklärt zum Teil, warum die Zahl so gering sein könnte.
Denn obwohl man wusste, dass nach europarechtlichen Vorgaben nur sechs Monate Zeit bleiben, um den Mann an Bulgarien zu überstellen, schickte man ihn aus der Erstaufnahmeeinrichtung in eine Unterkunft im Landkreis. So verstrichen die ersten drei Monate. Dann bemühte sich der Landkreis, einen Platz für den Mann in einem Flugzeug zu bekommen. Nach Angaben des nordrhein-westfälischen Flüchtlingsministeriums hat Bulgarien strenge Regeln aufgestellt. So dürfen Linien-Abschiebeflüge nur montags bis donnerstags zwischen neun und 14 Uhr ausschließlich in der Hauptstadt Sofia landen. Eine Fluglinie darf maximal zwei abzuschiebende Personen je Flug befördern. Eine Überstellung auf dem Landweg ist nicht erlaubt. Damit sind dem Ministerium zufolge für alle 16 Bundesländer theoretisch nur etwa zehn Abschiebungen je Woche nach Bulgarien möglich.
Ein besonderer Fall ist Italien. Das Land hat seit anderthalb Jahren Dublin-Überstellungen ausgesetzt, es werden also auch keine Asylbewerber in Linienflugzeugen akzeptiert. Im Bundesinnenministerium ist man darüber empört und verweist darauf, dass Italien seit einigen Jahren im Verhältnis zur Bevölkerung deutlich weniger Migranten aufnehme als Deutschland.
Nur einmal aufsuchen reicht nicht
Der Flug für eine Abschiebung muss über den Bund gebucht werden. Die Erfahrung der Mitarbeiter der Ausländerbehörde unter den strengen Regeln etwa Bulgariens ist: Es gibt zu wenige Flüge und daher eine monatelange Vorlaufsfrist, bis man einen Platz im Flieger bekommt. Wieder verging also wertvolle Zeit. Dann gab es einen Platz, die Abschiebung stand kurz bevor.
Da Asylbewerber in solchen Fällen schriftlich noch einmal aufgefordert werden, das Land freiwillig zu verlassen, können sie leicht erahnen, wann die „zwei bis drei akuten Wochen“ sind, so nennt es die Landrätin von Bad Kreuznach, Bettin Dickes (CDU). Wer will, kann sich also recht leicht den Behörden entziehen. So auch der Mann in Bad Kreuznach. Als die Polizei kam, um ihn abzuholen für den Abschiebeflug, war er nicht in der Unterkunft. Die Leiter solcher Unterkünfte haben bislang zudem nicht die Pflicht, bei den Behörden zu melden, wenn der Gesuchte wieder anzutreffen ist. Und so war die sechsmonatige Frist verstrichen.
Die Frist hätte verlängert werden können, wenn der Mann untergetaucht wäre, also sich auf der Flucht befunden hätte. Aber um das festzustellen, reicht es nicht, jemanden nur einmal nicht anzutreffen. So erklären auch die Behörden in Nordrhein-Westfalen, warum sie nicht mehr unternommen haben, um Issa Al H. außer Landes zu schaffen. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres ist es in nur 164 Fällen gelungen, Asylbewerber nach Bulgarien abzuschieben.
Wer randaliert, den nimmt der Pilot nicht mit
„Gescheiterte Abschiebungen sind auch unser Tagesgeschäft“, sagt Landrätin Dickes. Sie sagt, sie habe bei dem Bulgarien-Fall „Himmel und Hölle in Bewegung“ gesetzt, um den Mann abzuschieben. Es habe nichts geholfen. Diese Frustration hört man oft von Kommunalpolitikern und Mitarbeitern der Ausländerbehörden.
Abschiebungen werden zwar viele geplant, aber nur wenige durchgeführt. Laut Bundespolizeibericht gelangen im Jahr 2023 von knapp 53.000 geplanten Rückführungen nur gut 21.000. Die Gründe sind, jenseits der schwierigen Überstellungen nach dem Dublin-System innerhalb der EU, vielfältig.
Abschiebungen scheitern etwa, wenn das Zielland nicht kooperiert. Da die meisten Asylbewerber ohne Papiere nach Deutschland kommen, müssen Passersatzpapiere durch die Herkunftsstaaten ausgestellt werden. Vorausgesetzt, man kann die Identität des Asylbewerbers überhaupt klären, manche verweigern auch jegliche Hilfe bei der Feststellung der Identität. Wer familiäre Beziehungen nach Deutschland hat, kann aus diesem Grund hier geduldet werden. Genauso sind gesundheitliche Beeinträchtigungen ein Duldungsgrund. Und dann kann es auch sein, dass der Asylbewerber Widerstand leistet und der Pilot des Abschiebeflugs sich weigert, ihn mitzunehmen.
Auch Härtefallverfahren spielen zumindest in Rheinland-Pfalz eine Rolle. Ein entsprechender Antrag bei der Härtefallkommission verhindert zunächst den Fortgang des Verfahrens – unabhängig davon, ob der Antrag Aussicht auf Erfolg hat oder nicht. Landrätin Dickes kritisiert, diese Verfahren dauerten weit über ein Jahr und es gehe den zuständigen Personen immer nur darum, dass die Antragsteller bleiben dürften.
Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien sind schwierig
In den vergangenen Monaten kamen viele Türken nach Deutschland. Ihre Anerkennungsquote ist aber sehr gering, sie liegt im ersten Halbjahr 2024 bei neun Prozent. Es müssen also sehr viele Türken das Land verlassen. Eigentlich. Häufig handelt es sich um Kurden, da hat der türkische Staat kein Interesse, bei der Beschaffung von Passdokumenten zu helfen. Und wenn ein Kind hier auf die Welt kommt, durchläuft es auch ein Asylverfahren, selbst wenn der Antrag der Eltern abgelehnt worden ist. Oft, so schildern es die Behörden im Landkreis Bad Kreuznach, lassen die Eltern ihr Kind auch nicht bei den türkischen Behörden registrieren und bekommen für dieses auch keinen Pass.
Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan gestalten sich besonders schwierig. Denn Deutschland schiebt eigentlich schon lange nicht mehr in diese Länder ab, weil sie als unsicher gelten. Trotzdem sind afghanische Straftäter am Freitagmorgen mit einem Flugzeug aus Deutschland in Richtung Kabul erstmal seit der Machtübernahme der Taliban abgeschoben worden.
Es hat sich weniger die politische Lage in den Ländern geändert, sondern vielmehr der innenpolitische Druck, nachdem Männer aus diesen Ländern schwere Straftaten begangen haben, ein Afghane in Mannheim, der Syrer in Solingen. Die Bundesregierung hat beschlossen, nicht mit dem Taliban- und Assad-Regime zu verhandeln, sondern mit Nachbarstaaten, die sich bereit erklären könnten, die Migranten zu übernehmen. Das wird in der Bundesregierung als einzige Möglichkeit gesehen, dass die Grünen mitmachen. Für die jüngsten Abschiebungen nach Afghanistan soll Qatar eine wichtige Vermittlerrolle gespielt haben.
Doch selbst wenn Deutschland Vereinbarungen mit Nachbarländern hinbekommt, ist nicht zu erwarten, dass üppig besetzte Flugzeuge in Richtung Syrien und Afghanistan abheben. Denn es handelt sich zunächst nur um Personen, die schwere Straftaten verübt haben. Die Personengruppe ist klein. Außerdem heißt es aus dem Innenministerium, dass die Personen erst dann abgeschoben werden sollen, wenn sie die Hälfte oder zwei Drittel ihrer Haftstrafe verbüßt haben. Da es um schwerwiegende Taten geht, sind die Haftstrafen entsprechend lang.