Das jahrelange Drama um einen der höchsten verschuldeten Konzerne der Welt hat seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Eine Hongkonger Richterin hat am Montagmorgen die Auflösung des chinesischen Immobilienkonzerns Evergrande angeordnet. Noch am Montag soll ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt werden. Evergrande kann gegen die Entscheidung Rechtsmittel einlegen.
Die Entscheidung der Richterin Linda Chan erfolgte nach einem anderthalb Jahre dauernden Prozess, den ein Hongkonger Evergrande-Gläubiger angestrengt hatte. „Das Unternehmen hat es noch immer nicht geschafft, einen konkreten Plan für die Restrukturierung vorzulegen“, begründete Chan ihre Entscheidung, die sie zuvor einige Male vertagt hatte. „Genug ist genug“, sagte sie. Die Richterin entscheidet auch über das Schicksal einiger weiterer strauchelnder Baukonzerne.
Der Ball liegt nun im Feld der Kommunistischen Partei Chinas und wird ein Test für die juristische Beziehung zwischen Hongkong und dem Festland. Internationale Gläubiger versuchen in Hongkong und im Ausland, einen Teil der ausstehenden Beträge einzutreiben. Im Sommer hatte der Konzern in den USA Gläubigerschutz beantragt, was als Voraussetzung für eine Restrukturierung gesehen wurde. In China hatte das Sorgen geschürt, dass Gläubiger aus dem Ausland bevorzugt werden könnten.
Aktien vom Handel ausgesetzt
Den Großteil der insgesamt knapp 2,4 Billionen Yuan (rund 300 Milliarden Euro) schuldet Evergrande Gläubigern vom Festland, viele davon sind geprellte Privatleute, die für Wohnungen bezahlt haben, die sie nie bekommen haben. Offen ist, ob der bestellte Insolvenzverwalter im Festland anerkannt wird. Es gebe zwar eine Vereinbarung zwischen China und Hongkong, Insolvenzverwalter anzuerkennen. Bisher sei das aber nur in zwei von sechs Fällen auch geschehen, heißt es von Derek Lai, Insolvenzfachmann und Vizechef des China-Ablegers des Wirtschaftsprüfers Deloitte.
Die Aktien von Evergrande kollabierten nach der Entscheidung und wurden vom Handel ausgesetzt. Die Konzernmutter verlor ein Fünftel und war nur noch rund 250 Millionen Euro wert. Der Elektroautoableger, dessen Aktie vor drei Jahren noch mehr als 70 Hongkong-Dollar kostete, fiel auf 23 Hongkong-Cent, umgerechnet etwa knapp 3 Eurocent. Der Hongkonger Hang-Seng-Index lag jedoch leicht im Plus. Die Regierung bemüht sich zurzeit um eine Stabilisierung der Lage an den chinesischen Finanzmärkten, die das Jahr mit hohen Verlusten eröffnet hatten.
Vor dem Kollaps war Evergrande einer der größten und mächtigsten Konzerne der Volksrepublik. Xu Jiayin galt mit einem Vermögen von mehr als 30 Milliarden Euro als einer der reichsten Asiaten und war als Fußballmäzen hinter dem einstigen Serienmeister Guangzhou Evergrande einer der schillerndsten Unternehmer des Landes. Als er vor fünf Jahren in den Elektroautomarkt einstieg, versprach er, Tesla in drei bis fünf Jahren zu überholen. Stattdessen sitzt er seit einem halben Jahr im Hausarrest und scheint auch in Peking in Ungnade gefallen zu sein.
Evergrande steht stellvertretend für die Krise vieler Wohnungsbaukonzerne in der Volksrepublik. Die Regierung hatte vor dreieinhalb Jahren „drei rote Linien“ verkündet, die begrenzten, wie hoch sich die Immobilienriesen verschulden durften. Damit wollte sie die Luft aus dem aufgeblasenen Sektor lassen. Dieser machte während Chinas Aufstiegs zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt zeitweise ein Drittel der gesamten Wirtschaftsleistung aus. Chinesen sparen im Durchschnitt viel höhere Anteile ihres Einkommens als etwa die Bevölkerung in der EU und haben jahrelang einen Großteil davon in Wohnungseigentum gesteckt. Inzwischen stehen aber vor allem in kleineren Städten viele Gebäude leer. In denen könnten Schätzungen zufolge hunderte Millionen bis zur gesamten Bevölkerung Chinas leben.