Die europäischen Landwirte dürfen auch in diesem Jahr wieder ihre gesamte Ackerfläche nutzen. Die Europäische Kommission hat die Pflicht, 4 Prozent der Fläche für Brachen zu reservieren, wie schon im vergangenen Jahr ausgesetzt. Die Mitgliedstaaten haben 15 Tage Zeit, um die Ausnahme von der Flächenstilllegung zu beantragen. Sie gilt rückwirkend zum 1. Januar. Voraussetzung für die Nutzung der gesamten Agrarfläche ist, dass die Landwirte auf mindestens 4 Prozent ihres Ackerlands stickstoffbindende Pflanzen wie Linsen anbauen oder Zwischenfrüchte pflanzen, die als Tierfutter oder Gründünger genutzt werden können. Das sind noch einmal 3 Prozentpunkte weniger als nach dem ursprünglichen Kommissionsvorschlag von Ende Januar.
Die Kommission reagiert mit dem Beschluss auf die andauernden Bauernproteste in Ländern wie Deutschland, Frankreich, Italien oder Belgien. Sie hat sich darüber hinweggesetzt, dass ihr Vorschlag am vergangenen Freitag nicht von einer qualifizierten Mehrheit der Mitgliedstaaten – 15 Staaten, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren – unterstützt worden war. Deutschland hatte sich ebenso wie Spanien, Portugal und Estland enthalten. Italien, Bulgarien, Polen und Rumänien hatten dagegen gestimmt.
Die Gründe waren unterschiedlich. Italien, Spanien und Polen hatten weitgehendere Zugeständnisse an die Bauern gefordert. Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) hatte den Vorstoß der Kommission kritisiert und sie zu Nachverhandlungen aufgefordert. Letztlich konnte die Kommission aber relativ freihändig agieren, weil es sich bei dem Vorstoß nicht um ein normales Gesetzgebungsverfahren, sondern einen Rechtsakt handelt, für dessen Blockade hohe Hürden gelten.
„Jetzt muss er Farbe bekennen“
Die Kommission hatte den Vorschlag, auf die Flächenstilllegung zu verzichten, mit einer Reihe von Ereignissen begründet, von Extremwetter über hohe Energiepreise bis zum Preisverfall beim Getreide. Letzteres ist pikant, weil die Kommission die Ausnahme von der Flächenstilllegung 2023, als sie erstmals beschlossen wurde, mit den hohen Getreidepreisen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine begründet hatte. Der Vorsitzende des Agrarausschuss im EU-Parlament, Norbert Lins (CDU), forderte Özdemir auf, schnell zu handeln: „Jetzt muss er Farbe bekennen und diese Vereinfachungen in Deutschland auch zeitnah und fristgerecht umsetzen.“ Er forderte die Europäische Kommission auf, nun auch für 2025 bis 2027 auf die Pflicht zur Flächenstilllegung zu verzichten.
Die italienische Regierung hat unterdessen nach tagelangen Verhandlungen die Wiedereinführung der Einkommensteuer für landwirtschaftliche Betriebe teilweise zurückgenommen. Seit 2016 sind die Bauern davon befreit; Ministerpräsidentin Giorgia Meloni wollte sie in diesem Jahr wieder aufnehmen, hat nun aber bis zu einem Jahreseinkommen von 10.000 Euro die volle Befreiung und zwischen 10.000 und 15.000 Euro einen Abschlag von 50 Prozent vorgeschlagen. Die Steuereinnahmen sollen dadurch in diesem Jahr um 220 Millionen Euro und im kommenden Jahr um weitere 130 Millionen Euro geringer ausfallen.
Blockade Roms verhindert
Schon vor einigen Tagen hatte Meloni erklärt, dass hohe Mittel aus dem Corona-Fonds bereitstünden: Aufgrund der neuen Prioritäten, die ihre Regierung mit der Kommission neu ausgehandelt hatten, stiegen die Mittel für Landwirtschaft und Ernährung auf 6,53 Milliarden Euro, zu denen weitere 1,2 Milliarden Euro aus einem italienischen Fonds hinzukämen. In diesen Milliarden sind jedoch erhebliche Mittel für Wind- und Solarparks sowie für die Nahrungsmittelindustrie vorgesehen, der viele Landwirte Knebelverträge vorwerfen. Daher hatten sich die Proteste erstmal nicht beruhigt.
Der Regierung war es dennoch gelungen, die Landwirte vor einer Blockade der Hauptstadt Rom abzuhalten. Innerhalb der drei Regierungsparteien Fratelli d’Italia, Lega und Forza Italia war das Einlenken gegenüber den Bauern umstritten. Matteo Salvini, der Lega-Vorsitzende und stellvertretende Ministerpräsident, hatte versucht, sich den Protesten anzuschließen. Er behauptete, dass sie sich vor allem gegen die europäische EU-Politik richten. In Bezug auf die geplante Wiedereinführung der Einkommensteuer stimmte das nicht. Der wichtigste Landwirtschaftsverband Coldiretti steht den Parteien rechts der Mitte traditionell nahe. Er hat aber Mühe, Einfluss zu bewahren. Nicht wenige Landwirte werfen dem Verband vor, nur die Interessen der großen Höfe in einer Kungelei mit der Regierung zu verfolgen. Die Protestbewegung ist durch eine Vielzahl von teilweise spontanen Initiativen geprägt, darunter auch Rechtsextreme und Impfgegner.
Gemessen an der Bruttowertschöpfung verfügt Italien nach Frankreich über die zweitgrößte Landwirtschaft der EU. Sie trägt zur nationalen Wirtschaftsleistung viel stärker bei als in Deutschland oder Frankreich. Eine Vielzahl kleinerer und mittlerer Familienbetriebe kennzeichnet die Branche. Nicht nur Wein und Olivenöl sind erfolgreiche Produkte. Italien gehört etwa zu den drei größten europäischen Produzenten von Tomaten,.