Xabi Alonso hatte den Presseraum des Holstein-Stadions schon gemeinsam mit Sprecherin Valeska Homburg verlassen, als er auf dem Absatz kehrtmachte und ihm offenbar einfiel, dass er sich noch nicht vernünftig von Marcel Rapp verabschiedet hatte – ein Handschlag, eine Umarmung, ein Nicken. Nichts Großes unter Kollegen. Aber wie dieser Fußballtrainer an vielen Stellen seines beeindruckenden Wegs auch auf Formeln der Höflichkeit achtet, ist in diesen rauen Zeiten bemerkenswert. Draußen stand der Bus schon lange mit laufendem Motor und wartete auf den Chef.
Zuvor hatte Alonso Holstein Kiel auch gelobt, ohne dass es allzu formelhaft klang. Er hätte zum Beispiel hervorheben können, dass die KSV beim vollauf verdienten 0:2 gegen Bayer 04 Leverkusen mehr Torschüsse zustande brachte als die Bayern am Spieltag davor. Zweimal musste Torwart Matej Kovar eingreifen, um Möglichkeiten Magnus Knudsens nicht zu Toren werden zu lassen. Ansonsten war der Leverkusener Auftritt so, wie ihn Alonso bezeichnete: seriös. So gut, so ernsthaft, dass sich die Serie von Bundesliga-Spielen ohne Auswärtsniederlage auf 28 verlängerte. „Wir haben eine top-top Mentalität entwickelt“, sagte Alonso im Stile Pep Guardiolas, „wir sind effizient, stabil. Aber dafür gibt es keine Medaille.“
Beim 0:0 in Wolfsburg vor zwei Wochen hatte Leverkusen Mühe, Torchancen zu kreieren. Auch der Sieg im Holstein-Stadion war kein Feuerwerk der Fußballkunst, aber man sah doch einen Zugewinn an Spielfreude, besonders bei Florian Wirtz auf der linken Angriffsseite. Ein paarmal verknotete er mit seinen Dribblings die Beine von Holsteins Lasse Rosenboom. Es war mal wieder ein Spiel von Wirtz, das die Phantasie beflügelte; das sah man später an diesem Abend, als etwa 100 Fans vor einem Bauzaun am Leverkusener Bus standen und nach dem Nationalspieler riefen.
Die 90 Minuten zuvor hätten auch böse enden können für den Aufsteiger. Kurz sah es danach aus, denn als Patrik Schick den Ball zum 1:0 in die Maschen beförderte (9. Minute), drehte Bayer auf. Doch Marcel Rapps Team sortierte sich und leistete fortan solide Abwehrarbeit, ehe der Fehler des neuen Innenverteidigers David Zec in der 45. Minute das 2:0 durch Amine Adli ermöglichte. Wirtz hatte ihn auf die Reise geschickt.
Schwerwiegende individuelle Fehler begleiten Holstein Kiel schon durch die ganze Saison. Diesmal profitierte Bayer 04 und durfte beruhigt in die Kabine gehen: „Ein 0:2 gegen diese Mannschaft aufzuholen, ist sehr schwer“, sagte Marcel Rapp später.
Dass die zweite Halbzeit vor 15.000 Menschen im ausverkauften Stadion relativ belanglos wurde, kann Leverkusen niemand vorwerfen. In einer Saisonphase, in der nun Woche für Woche große Aufgaben warten, geht es nicht darum, an jedem Bundesliga-Wochenende aufregendes Offensivspiel zu zelebrieren – sondern klug und ergebnisorientiert zu spielen. „Wir hatten nicht das Gefühl, dass wir hier etwas aus der Hand geben“, sagte Mittelfeldspieler Robert Andrich. „Manchmal ist auf einem solchen Rasen ein langer Ball besser als viele kleine Pässe.“
Trotzdem blieben die Leverkusener gefährlich und ermöglichten dem Kieler Torwart Timon Weiner ein paar schöne Paraden. Derweil staunten die Fans, wen Xabi Alonso da noch so alles einwechselte, gerade in der Offensive. „Wir haben einen riesig guten Kader“, sagte Andrich, „wir profitieren brutal von der Rotation.“ Wobei er selbst auch gern häufiger von Anfang an spielen würde, wie er mit einem leichten Anflug von Bitterkeit zugab.
Die Frage, wer das beste und wer das erfolgreichste deutsche Team dieser Saison sein wird, ist noch nicht beantwortet. Aber die Selbstverständlichkeit, mit der Leverkusen Partien wie am Samstag in Schleswig-Holstein für sich entscheidet, erinnert derzeit schon an die fabelhafte Vorsaison. Wenn Andrich sagt, man wolle jedes Spiel gewinnen, klingt das banal, es sagt aber viel über das Selbstverständnis dieser Gruppe aus.
Ein paarmal coachte sich das Team auf dem tiefen Kieler Rasen selbst, als Spielpausen es zuließen. Es gibt ständig etwas zu verbessern. Keine Frage, dass Alonso seiner Mannschaft dieses Ideal vorlebt, dass die Mannschaft und ihr Erfolg „work in progress“ ist. Und es gäbe keine bessere Gelegenheit, einen nächsten vorläufigen Höhepunkt zu erleben, als in den beiden Achtelfinalpartien der Champions League gegen den FC Bayern am 5. und 11. März.