Während der Pandemie hatten wir das Gefühl, alles Mögliche schon „per Zoom“ gemacht zu haben. Diese Woche lernten wir, wofür das Videoprogramm auch noch gut sein kann: Wir konnten die Beerdigungen von Bekannten verfolgen, die in Israel am 7. Oktober 2023 ermordet wurden. Das Gefühl der Ohnmacht verstärkte sich allein dadurch, die geliebten Menschen nur auf dem Bildschirm zu sehen. Ohne sie in den Arm nehmen zu können.
Die menschliche Nähe suchten wir dann am Wochenende, als wir in Frankfurt an der Solidaritätskundgebung für Israel teilnahmen. Unter den etwa eintausend Menschen kannten wir ein paar: Anna, die erst vor drei Wochen von ihrer Israel-Palästina-Reise zurückgekehrt ist. Manfred, der mit seiner israelischen Partnerin dabei war. Und Tarik, der mit seinen beiden Söhnen gekommen war. Ob sie einen persönlichen Bezug zu Israel haben oder nicht, sie alle wollten ihr Entsetzen über die schrecklichen Verbrechen der Hamas zum Ausdruck bringen.
„Dann passiert halt so was!“
Auf dem Weg zurück in Richtung U-Bahn stießen wir auf eine Masse von Leuten, die die Palästina-Flagge schwenkten und „Free Palestine“ riefen. Zwar wurden die propalästinensischen Demonstrationen in der Frankfurter Innenstadt verboten, trotzdem fanden sich Gruppen zusammen. Dort trafen wir auf niemanden, den wir kannten. Viele Frauen trugen ein Kopftuch, viele Demonstranten ein Palästinensertuch. Teilweise wurde in arabischer Sprache skandiert.
Während in den vergangenen Eskalationen zwischen Israel und Hamas wie in den Jahren 2014 oder 2021 die Rhetorik, „beide Seiten“ sollten die Gewalt beenden, zum guten Ton gehörte, ist diesmal alles anders. Das Massaker durch die Hamas-Terroristen hat die eingeübte Formel zunächst ausgesetzt. Die Folter und Hinrichtungen von Kindern, Frauen und Männern, Vergewaltigungen und Verschleppungen lassen kaum jemanden kalt, egal wie man politisch zum Nahostkonflikt steht. Und doch zeigen sich auf Demonstrationen und Kundgebungen, aber insbesondere in den sozialen Medien, häufig gerade Muslime gleichgültig gegenüber dem Massaker der Hamas und erklären dieses zur legitimen Antwort auf die „jahrelange Unterdrückung und ethnische Säuberung“. In einem Video auf Instagram erklärt eine Deutsch-Palästinenserin: „Wir warnen die Juden schon seit siebzig Jahren, dass sie endlich gehen sollen. Dann passiert halt so was!“
Es ist in Deutschland fast schon zum Reflex geworden: Erst mal gibt es antiisraelische Proteste auf der Straße, dann werden die islamischen Verbände aufgefordert, Stellung zu beziehen. So beklagte der Bundeswirtschaftsminister Cem Özdemir, selbst türkisch-muslimischer Herkunft, auf X, vormals Twitter, das „dröhnende Schweigen der muslimischen Verbände zum Terror gegen Israel“. Der Politikwissenschaftler Carlo Masala sprach vom „ohrenbetäubenden Schweigen“ – die Verbände sollten sich äußern, damit sich nicht „erneut eine stumpfe antimuslimische Stimmung breitmacht“.