Ist es schon genug Gleichberechtigung, dass Frauen mit bandagierten Händen, Mundschutz und Handschuhen überhaupt in den Ring steigen dürfen, oder gehören auch dieselben Distanzen unbedingt dazu? Solche Fragen werden am Samstagabend (Veranstaltung beginnt um 16.00 Uhr bei DAZN) zwangsläufig gestellt, denn Nina Meinke hat sich festgelegt.
Die 31 Jahre alte Profiboxerin aus Spandau will in der Hamburger Sporthalle mit der Argentinierin Daniela Bermudez über bis zu zwölf Runden à drei Minuten gehen, um den vakanten WM-Gürtel des Internationalen Box-Verbandes (IBF) im Federgewicht zu erobern. Damit verzichtet sie auf das für Frauen übliche Paket von zehn mal zwei Minuten – und weitet die Kampfzone auf jene elend langen Maße aus, die für Männer gelten.
Erfüllt sich die Erwartung?
Also nicht zwanzig, sondern sechsunddreißig Minuten Aktion: Das hat vor elf Monaten bereits die puertoricanische Boxerin Amanda Serrano bei einem Titelkampf in der gleichen Klasse in Florida vorgemacht. Mit dem Ergebnis, dass sie zwar Championesse zweier Weltverbände blieb, aber die Anerkennung durch den dritten (WBC) verlor.
In Europa dagegen stellt Meinkes 22. Kampf (bisher 18 Siege, drei Niederlagen) eine Premiere dar. Sie wurde von der IBF ausdrücklich genehmigt und vom Bund deutscher Berufsboxer (BDB), der die Veranstaltung beaufsichtigt, ausnahmsweise akzeptiert. Nicht aus heller Begeisterung, wie dessen Präsident Thomas Pütz auf Anfrage erklärt: Er ist einstweilen „nicht sicher, ob das, was der Zuschauer erwartet, auch erfüllt wird“.
Wie viele der weiblichen Profis unter solchen Umständen auch in den „hohen Runden“ noch Energie und Konzentration haben: Darüber wird in der (männlich dominierten) Szene gern diskutiert. Doch im Fall der ehemaligen Europa- und Weltmeisterin aus Berlin erscheint Optimismus berechtigt.
Kaum eine zweite deutsche Boxerin agiert zwischen den Seilen so hochfrequent, um ihre Gegnerinnen unter Druck zu halten. Dabei weiß sie ihre Kondition mit Courage zu koppeln, auch wenn das schon mal Rückschläge mit sich bringt. So wie vor sieben Jahren in Wembley, als „Nina the Brave“ es im sechsten Profikampf mit Katie Taylor, Olympiasiegerin und irische Nationalikone, aufnahm – bis sie in Runde sieben mit noch ausreichend Kondition, aber ohne Siegchance vom Ringrichter gestoppt wurde.
„Wie in einem schlechten Film“
Und hat sie Anfang dieses Jahres nicht schon einmal für die erweiterte Distanz und das Duell ihres Lebens trainiert? Fast zwei Monate lang ließ Meinke in der Dominikanischen Republik ihren Schweiß, um sich für den ersehnten Titelkampf mit Amanda Serrano in Puerto Rico in Topform zu bringen.
Nur folgte Anfang März ein Desaster der skurrilen Art: Schon erwärmt und bandagiert, teilte man ihr in der Umkleide einer ausverkauften Großarena in San Juan mit, dass ihre berühmte Gegnerin wegen einer ominösen Augenverletzung passen müsse. Da fühlte sich die sonst so empathische Rechtsauslegerin „wie in einem schlechten Film“.
„Wir wollen das Bestmögliche rausholen“
So haben der internationale Glanz und die tapfere Berlinerin, die im Stadtteil Wilmersdorf ein Fitness-Gym betreibt, bis heute nicht so recht zusammengefunden. Was am Ende vielleicht weniger über ihre Qualität als deutlich mehr über die Situation der Frauen in der Flaute-Branche aussagt. Auch am Samstag wird Nina Meinke wieder eine vierstellige Börse erhalten. Und danach weiter auf den einen Kampf gegen eine prominente „Endgegnerin“ warten, wie sie es ausdrückt, der ein Leben nach dem Leistungssport ein Stück weit vorfinanziert.
Ob Amanda Serrano sich dafür je zur Verfügung stellt, steht in den Sternen: Die 35-Jährige ist zum November für ein zweites großes Duell mit Katie Taylor in einer Großarena in Texas gebucht. Immerhin wird der Streaming-Sender DAZN Meinkes fünftes WM-Duell übertragen. Das ist im Zweifel noch ein Grund mehr, alles zu geben. Wie sagte sie in dieser Woche: „Wir wollen natürlich das Bestmögliche rausholen.“