Von Berlins Mitte bis nach Brandenburg sind es knapp 20 Kilometer, in einer halben Stunde ist die Landeshauptstadt Potsdam erreicht. Und doch ist es eine kleine Weltreise vom Zentrum der Republik in das ländlich geprägte Bundesland. Für die Politik in Brandenburg interessiert sich Berlin normalerweise weniger, auch wenn etliche Bundesprominenz dort ihre Wahlkreise hat, etwa Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne).
An diesem Sonntag ist das etwas anders, wie jede Landtagswahl hat auch diese Auswirkungen auf Regierung und Opposition im Bund – und umgekehrt beeinflusst die Stimmung im Bund das Geschehen im Landtagswahlkampf. Was erwarten, erhoffen oder befürchten die Bundesparteien vom Abstimmungsverhalten der etwa 2,1 Millionen Wahlberechtigten?
Führt die Wahl zum Aufstand gegen Olaf Scholz?
Für die Sozialdemokraten zählt bei dieser Wahl vor allem eines: Kann sich der beliebte Ministerpräsident Dietmar Woidke im Amt halten? Umfragen sagen ein knappes Ergebnis voraus, Woidke hat erklärt, er werde nur dann weitermachen, wenn seine SPD stärkste Kraft in Brandenburg bleibt und vor der AfD liegt. Die Brandenburger haben im Wahlkampf auf Bundespräsenz möglichst verzichtet, Bundeskanzler Scholz wurde zu öffentlichen Auftritten mit Woidke gar nicht erst eingeladen, er galt eher als wahlschädigend.
Dass der Kanzler die Landesregierung dennoch diskret unterstützte, etwa indem er der Raffinerie in Schwedt neues Öl beschafft, nachdem das russische nicht mehr geflossen ist, gehört auch zur Wahrheit. Könnte Woidke sich behaupten oder sogar ein wenig verbessern, würde das Willy-Brandt-Haus erklären können, der Abwärtstrend der Partei sei gestoppt, die Wende nahe. Und Olaf Scholz ihr nächster Kanzlerkandidat.
Falls nicht, dürfte es abermals Diskussionen geben, so wie nach den Wahlen in Sachsen und Thüringen, als der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil und Generalsekretär Kevin Kühnert gezwungenermaßen feiern mussten, dass die SPD jeweils die Fünfprozenthürde genommen hat. Der brandenburgische SPD-Bundestagsabgeordnete Scholz selbst ist auf maximale Distanz gegangen und verbringt den Wahlsonntag in New York bei der UN-Vollversammlung.
Kann der Wahlausgang Friedrich Merz noch gefährlich werden?
Für den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz und die Bundes-Union ist der Wahlausgang in Brandenburg interessant, aber personalpolitisch nicht mehr relevant. Nachdem sich die CDU-Landesparteien in Thüringen und Sachsen passabel geschlagen hatten und die Union dort jeweils Regierungsperspektiven hatte, konnte Merz dem CSU-Vorsitzenden Markus Söder die Zustimmung zu seiner Kanzlerkandidatur abringen.
Ein Ergebnis, so schlecht, dass es Merz noch mal infrage stellen würde, war und ist nicht mehr zu erwarten. Die CDU hofft auf eine weitere Regierungsbeteiligung in Brandenburg – und damit auf stabilen Einfluss auch im Bundesrat. Die Union ist in sieben Landesregierungen vertreten, plus in Bayern mit der CSU.
Merz hat sich im Wahlkampf engagiert, zahlreiche Termine wahrgenommen, und der CDU-Spitzenkandidat im Land, Jan Redmann, gehörte zu den ersten Gratulanten nach Merz’ Nominierung. Nicht nur insgeheim wäre man im Adenauer-Haus froh, wenn es SPD und CDU gelänge, eventuell sogar mit den Grünen oder einer anderen Partei abermals eine stabile Landesregierung zu bilden. Die Kombination von SPD, CDU und Grünen böte ja auch für den Bund eine Möglichkeit.
Bleiben AfD und BSW auf den Erfolgswellen?
Beide Parteien können mit Zuversicht auf die Landtagswahl schauen, beide bekamen starke Unterstützung aus den Berliner Zentralen. Während allerdings die Bundes-AfD weiterhin vergeblich hoffen dürfte, nach Koalitionsverhandlungen in einem Bundesland einen Regierungschef oder zumindest einen Landesminister zu stellen, stehen die Chancen der Wagenknecht-Bewegung nicht schlecht. Ihr Spitzenkandidat Robert Crumbach, Jurist und jahrzehntelang SPD-Mitglied, gilt sogar selbst als ministrabel.
Die AfD hofft darauf, ihr vorheriges Ergebnis von 23,5 Prozent noch einmal deutlich zu überbieten. Für sie ist es die letzte Wahl vor der Bundestagswahl, aus der sie bundespolitisch einen Bedeutungszuwachs ziehen kann. Die nächste Wahl findet Anfang 2025 in Hamburg statt, dort ist die Partei derzeit schwach.
Verschwindet die Linkspartei?
Auch in Brandenburg war die Linkspartei einmal stark, ebenso wie in Thüringen und Sachsen. Führungs- und ziellos taumelt die Bundespartei nun der nächsten Niederlage entgegen. Bereits zur letzten Landtagswahl hatte die zerstrittene Linke fast die Hälfte ihrer Wähler verloren, war aber mit zehn Prozent eine politische Kraft im Landtag geblieben. Im Karl-Liebknecht-Haus zittert man dem Sonntag nun in der bangen Sorge entgegen, es könne nicht einmal zum Einzug in den Potsdamer Landtag reichen.
Werden Grüne und FDP überhaupt noch messbar sein?
Die beiden kleineren Berliner Ampelparteien haben sich für die Brandenburg-Wahl auf weitere Niederlagen einzustellen. Die Grünen, die in Brandenburg 3000 Mitglieder haben, waren an der Potsdamer Regierung beteiligt und hoffen immer noch, es zu bleiben. Nach letzten Umfragen werden sie ihr vormaliges Ergebnis etwa halbieren und sind damit noch schlechter dran als die Bundespartei.
Der Zuzug vieler grüner Parteifunktionäre und pensionierter Kreuzberger in die sanften Hügellande der Uckermark oder ans Oderufer wirkt sich wahlrechnerisch kaum aus. Noch mehr als mit der Klimapolitik hat die grüne Partei etwa mit ihrer Subventionspolitik im Land Bauern und deren Freunde und Bekannte gegen sich aufgebracht. Weil es nicht viel zu holen gibt, scheint die Bundespartei auch nicht viel in Brandenburg investiert zu haben, auch wenn die Parteivorsitzenden im Wahlkampf präsent waren. Für die FDP ist Brandenburg tote Erde, in Umfragen lässt sich die Partei nicht mehr messen.