Herr Doktor Çelik, herzlichen Glückwunsch, der Bundespräsident hat Ihnen das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen, am Freitag wurde es Ihnen in Wiesbaden überreicht. Wie fühlt sich das an?
Es ist eine unglaubliche Ehre für mich. Die Ehrung für die klinische Arbeit in der Pandemie nehme ich auch stellvertretend für die Tausenden Helferinnen und Helfer an, die das Gleiche geleistet haben. Ich freue mich besonders, dass offensichtlich viele Menschen verständliche und praxisnahe Kommunikation zu medizinischen Themen so sehr wertschätzen, besonders in sehr unruhigen und verwirrenden Zeiten.
Wir sprechen mit Ihnen regelmäßig über medizinische Themen und das Gesundheitswesen. Wie ist bei Ihnen am Klinikum Darmstadt aktuell die Lage – und wie war der Winter?
Momentan hat die Infektsaison in der Klinik ganz eindeutig nachgelassen, und wir sind mit anderen Erkrankungen beschäftigt. Wir haben sehr viel weniger Influenzapatienten; das war die letzte Welle, die seit Ende Februar abklingt. Einige hochbetagte Patienten erwischt aktuell die Influenza B, die jetzt nach der Influenza A zirkuliert. Insgesamt kann man sagen, dass sich das Muster aus dem Vorjahr wiederholt hat: Zuerst kommt im Herbst die Covid-Welle und Anfang Januar dann die Influenzawelle. Dazwischen gab es noch einen Anstieg bei den RSV-Infektionen, das wird aber eher in der Kindermedizin zum Problem. Im Vergleich zu präpandemischen Zeiten hatten wir jetzt also eine deutlich längere Infektsaison in der Klinik. Es gibt jetzt zwei Erreger, die im Winter bei derselben Risikogruppe zu vielen stationären Aufnahmen führen können, und sie haben ihre Hochstände nacheinander. Da es sich um dieselbe Risikogruppe handelt, sollte man auch die Aufklärungs- und die Impfkampagne danach ausrichten. Dieses Jahr waren einige Patienten bei der Influenzaimpfung etwas nachlässig, vielleicht auch weil die Influenzawellen während der Pandemie wegen der Hygienemaßnahmen nicht so stark abgelaufen sind. Jetzt waren sie aber wieder ziemlich heftig.
Können Sie jetzt wenigstens mit einem guten Gefühl in das restliche Jahr gehen, weil man den Verlauf gut einschätzen kann?
Diese lange Infektsaison ist anstrengend, weil gleichzeitig auch mehr Personal krank ausfällt. Aber in der Medizin ist man sehr anpassungsfähig und muss damit eben planen, zum Beispiel mit Infektionsschutzkonzepten. Die Saison ist länger, es kommen insgesamt mehr Patienten, und das Personal ist knapp. Aber ja, immerhin wissen wir ungefähr, was uns Winter für Winter erwartet und welche Hygienemaßnahmen innerklinisch nötig werden. Trotzdem bleibt es eine große Herausforderung. Das geht auch den Kollegen in den ambulanten Praxen so.
Kann man die Verlängerung der Infektsaison noch genauer quantifizieren?
Vor der Pandemie ging die Influenzawelle im stationären Bereich meist erst Anfang des Jahres los, und das von Jahr zu Jahr unterschiedlich stark. November, Dezember waren eher Personalausfälle durch Erkältungen das Problem. Jetzt beginnt die Zeit der vielen zusätzlichen stationären Aufnahmen durch Covid bereits im Oktober, und das zieht sich mit Influenza durch bis Februar und März. Diese Saison ist dadurch doppelt so lang wie zu Zeiten, als es Covid-19 noch nicht gab. Diese Beobachtungen passen zu den Daten des RKI aus den Wochenberichten.
Sie haben aber nicht doppelt so viel Personal.
Nein, genauso viel. Deswegen geht das auf Kosten des restlichen Krankenhausbetriebs. Betten müssen reduziert werden, planbare Eingriffe werden dann verschoben.
Haben Sie noch etwas Neues über Corona gelernt in dem Winter?
Wir lernen weiter, und es gibt seit Februar eine neue Version der deutschen Leitlinie. An den grundlegenden Therapiestrategien hat sich aber nichts verändert. Die Empfehlungen zur medikamentösen Therapie und Blutverdünnung wurden mit mehr Evidenz aktualisiert und leicht verändert. Mit der steigenden Immunität in der Bevölkerung und unserer Erfahrung können wir gute Therapieerfolge erzielen. Die Krankheit ist nicht mehr so bedrohlich für die Gesellschaft; dadurch sinkt auch der Druck, etwas anders machen zu müssen. Unsere offene Flanke sind die Hochrisikopatienten mit einem extrem geschwächten Immunsystem, zum Beispiel Krebskranke unter Therapie. Die sind immer noch am schwersten betroffen.