Wenn Amerika nächste Woche wählt, dann geschieht etwas, das gerade in Europa viele nicht mehr für möglich gehalten haben: Trump steht wieder auf dem Wahlzettel, und er hat eine reale Chance, noch einmal ins Weiße Haus einzuziehen. Harris steht in den Umfragen besser da als Biden, der ihr (nicht ganz freiwillig) die Kandidatur überließ. Aber Trump und Harris liegen nun so eng beieinander, dass es keinen Favoriten gibt. Gut die Hälfte der amerikanischen Wähler ist bereit, dem früheren Präsidenten wieder die Stimme zu geben.
Das widerlegt vor allem eine Wahrnehmung, die nach Trumps erstem Wahlerfolg 2016 in Europa verbreitet war: dass es sich da irgendwie um einen politischen Betriebsunfall in einem Land handelte, das im Kern weiterhin den viel beschworenen gemeinsamen „liberalen Werten“ verpflichtet sei; eine Art Ausrutscher, begünstigt durch das Internet und die Lügenmärchen des Republikaners. Der Wahlsieg Bidens im Jahr 2020 schien diese Lesart zu stützen. Wie fast immer, wenn ein Demokrat in Washington regiert, entdeckte man in Europa, vor allem in Deutschland, die transatlantischen Beziehungen neu; tätige Hilfe leistete diesmal allerdings Putin.
Die Weltwirtschaftsordnung zerfällt
In Wirklichkeit war Trump ein Vorreiter. Sollte er wiedergewählt werden, dann würde er in eine politische Welt zurückkehren, die sich seinen Vorstellungen angenähert hat. Das betrifft besonders Europa. Rechtspopulistische Parteien sind bekanntlich auch hier seit Jahren im Aufschwung, selbst in westeuropäischen Ländern erzielen sie inzwischen Wahlsiege. Dass Trump immer radikaler auftritt, kennt man hierzulande ebenfalls. Es ist das Erfolgsrezept der AfD.
Trump hat in seiner ersten Amtszeit immer wieder gesagt, dass er Präsident der Vereinigten Staaten sei, nicht der ganzen Welt. Das ist ein Schlüsselsatz, den in abgewandelter Form viele rechtspopulistische Parteien teilen. Ihr Erscheinen und ihr Erfolg sind eine Gegenbewegung zur Globalisierung. Dass die Bewegung von Amerika ausgeht, ist kein Zufall. Die auf Freihandel beruhende Weltwirtschaftsordnung, die seit ein paar Jahren zerfällt, war ein amerikanisches Projekt nach dem Zweiten Weltkrieg. Und dort hat man die damit verbundenen Kosten, nämlich den Verlust von gut bezahlten heimischen Industriearbeitsplätzen, früher und massiver zu spüren bekommen als in Deutschland.
Dominanz universalistischer Ziele
Die Kritik an der Globalisierung, die früher nur ein linkes, antikapitalistisches Thema war, hätte vermutlich nie eine solche Schlagkraft erlangt, wenn sie nicht mit einer politischen Entgrenzung einhergegangen wäre, die tief ins Kulturelle reicht. Die Dominanz universalistischer Ziele von Klimaschutz bis Menschenrechten (teilweise militärisch durchgesetzt), die Öffnung westlicher Gesellschaften für ungeregelte Masseneinwanderung und die damit oft verbundene Aufwertung von Minderheiten hat bei einem Teil der alteingesessenen Mehrheiten offenbar ein Gefühl der Überforderung, Marginalisierung und Fremdheit in der eigenen Gesellschaft hervorgerufen.
Die Diskurse ähneln sich auf verblüffende Weise in vielen Staaten. Im Grunde erklären wachsende Teile der Arbeiter und der Mittelschicht per Stimmzettel ihren Auszug aus dem „globalen Dorf“, in dem viele Meinungsführer aus Politik, Wirtschaft und Medien bis heute leben und weiterhin leben wollen. Trump hat das als einer der ersten erkannt. Und es ist nicht so unnormal, wie es oft dargestellt wird. Die heutige Welt ist immer noch eine der Nationalstaaten.
Eigentlich sind es konservative Parteien, die von dieser Grundstimmung profitieren müssten, denn diese Wähler wollen ja Heimat, Sicherheit und Ordnung. Die Mitte-rechts-Kräfte schauten aber lange auf die (unbestreitbaren) wirtschaftlichen Vorteile der Globalisierung; in Deutschland stand ihnen zudem Merkels Asylpolitik im Weg. Hinzu kam ein merkwürdiges Zurückweichen vor dem Zeitgeist, etwa wenn es um die traditionelle Ehe und Familie geht, die in der deutschen Politik kaum noch vorkommen. Wenn man will, kann man auch das als Folge der Globalisierung sehen. Die LGBTQ-Bewegung ist international.
In Europa stehen die Chancen auf eine Wiederbelebung konservativer Politik insgesamt besser als in Amerika. Selbst wenn Trump verlieren sollte, haben seine Ideen doch breite Akzeptanz in seiner Partei und in der amerikanischen Politik gefunden; das gilt besonders für den Protektionismus. In Deutschland dagegen stehen CDU und CSU wieder recht gut da in den Umfragen. Auch das Ergebnis der Europawahl hat gezeigt, dass die Wähler den Christdemokraten immer noch am meisten Vertrauen schenken. Diese Chance sollte nicht verspielt werden. Die Linke hat die Hegemonie über den öffentlichen Diskurs verloren. Jetzt kommt es darauf an, dass er nicht rechtsextrem wird, sondern wieder bürgerlich.