Von der Essenslieferung über das Online-Banking und dem Regenradar bis hin zur Fahrdienstvermittlung – eine wahre Flut an spezialisierten Apps für fast jeden erdenklichen Service spiegelt die Vielfalt digitaler Angebote wider. Sie sind zunehmend einfach, intuitiv, kostengünstig und individualisiert auf den Nutzer zugeschnitten – „Convenient“ eben, was mehr als nur „bequem“ meint.
Die Sehnsucht nach Vereinfachung ist ein altes Grundbedürfnis
Die Kundenerfahrung sollte immer schon einfach und bequem sein. Das war auch schon so, bevor es Apps und Smartphones gab. Aber – und das ist der gravierende Unterschied im digitalen Zeitalter: Inzwischen hat sich das Smartphone im Alltag als DIE prägende und handlungsleitende Nutzererfahrung etabliert und durchgesetzt. Die Erfahrungen hinsichtlich menschlicher Grundbedürfnisse auf digital vernetzten Endgeräten haben mit uns etwas gemacht: Sie haben uns dahingehend verwöhnt bzw. aus Anbietersicht auch manchmal „versaut“, dass wir, sobald wir einmal einen solchen guten Service erfahren und gelernt haben, dies von jedem anderen auch glauben erwarten zu können.
Prof. Dr. Klemens Skibicki ist ein ausgewiesener Experte auf dem Gebiet der digitalen Transformation. Skibicki war von 2013 bis 2018 Mitglied im Beirat „Junge Digitale Wirtschaft“ des Bundeswirtschaftsministeriums. Von 2004 bis 2019 lehrte er als Professor für Marketing und Marktforschung an der Cologne Business School. Seine Arbeiten beleuchten Themen wie digitale Transformation, agiles Arbeiten, Content Marketing, New Work, künstliche Intelligenz, Datenschutz und Blockchain.
Convenience Maximus – nur das Beste ist gut genug!
Das Neue aus Anbietersicht ist somit, dass ein Unternehmen mit seinen Touchpoints zum Kunden eben nicht mehr nur mit seinem Branchenmitbewerber, sondern mit der besten Nutzererfahrung in der gesamten vernetzten Welt konkurriert, die über das Smartphone immer und überall verfügbar ist. Die gelernte und gesteigerte Erwartungshaltung betrifft jedoch nicht nur digitale Produkte, sondern auch jedes physische Angebot, das irgendwelche digitalen Berührungspunkte hat, also heute praktisch jedes Angebot.
Bisher waren viele Menschen bereit, auf der Suche nach dem optimalen Einkaufserlebnis mehrere Einzelapps herunterzuladen und zu nutzen – hier war das gut, dort etwas anderes besser. Auf Dauer funktioniert das aber nicht, denn unser Alltag ist vom stetigen Streben nach Effizienz geprägt und Convenience Maximus bedeutet eben auch hier das Höchstmaß an Bequemlichkeit, nicht die zweit- oder drittbeste Lösung.
Die Begeisterung über die Fülle an Optionen weicht somit zunehmend der Sehnsucht nach genau dieser Vereinfachung und Effizienz. Nicht nur auf dem Niveau der Besten, sondern auch an einem einzigen Ort. Wir Menschen möchten nicht dauerhaft Apps mehrerer Anbieter nutzen, die im Grunde alle den gleichen Service bieten, dabei aber Wechselkosten verursachen. Das wiederholte Hin- und Herwechseln zwischen verschiedenen Anwendungen ist umständlich, ineffizient und unproduktiv – warum so, wenn es auch anders geht!
Es ist an der Zeit, die nervige Flut an Einzelanwendungen zu stoppen. Wir wollen nicht für jede alltägliche Aufgabe ein separates Werkzeug verwenden, obwohl ein multifunktionales Gerät das ebenso erledigen könnte. Das ständige Herunterladen, Ausprobieren und wieder Löschen von Apps ist nicht nur zeitraubend, sondern führt auch zu Frustration und einem überladenen digitalen Raum, der dem eigentlichen Zweck von Technologie – unser Leben zu vereinfachen – entgegensteht. Kurz gesagt: Ich will auf meinem Handy keinen App-Friedhof beheimaten!
Unternehmen sollen endlich auf die Stimmen der Nutzer hören, die sich nach Einfachheit, Effizienz und Komfort sehnen. Es geht nicht darum, wie viele Apps sie entwickeln, sondern ob und wie gut diese Apps den Alltag der Menschen auch verbessern können.
Super-Apps als digitale Alleskönner
Die disruptive technologische Wucht von Smartphones und Apps liegt somit darin, dass sie in kürzester Zeit internationale Standards auch in Sachen Convenience definieren, die alle Menschen in allen Kulturen betreffen und deren Erwartungshaltung formen.
Als Lösung dieser Entwicklung kommen sogenannte „Super-Apps“ ins Spiel, die als digitale Alleskönner fungieren, indem sie eine Vielzahl von Diensten in einer einzigen Anwendung vereinen. Solche Super- oder Multipartner-Apps gelten als eine Art „Schweizer Taschenmesser“. Sie vereinen beispielsweise Messenger-Dienste, Direktzahlungen zwischen Nutzern oder Online-Shopping unter einem Dach. Bei einigen ist auch die Essensbestellung oder ein Taxi-Ruf integriert. Damit werden sie zu einem Ort, an dem die Nutzer praktisch alle täglichen Bedürfnisse erledigen können – mit Familie und Freunden kommunizieren, einkaufen, Rechnungen bezahlen, Reisen buchen, Musik hören.
WeChat, Grab, Tata: Asiatische Konzerne als Vorbilder
Derartige Allzweck-Plattformen sind bislang vor allem in Asien erfolgreich. Für die Menschen dort ist das Smartphone bereits der primäre Zugang zum Internet. Besonders beliebt sind WeChat und Alipay, die bis 2025 zusammen voraussichtlich eine Nutzerbasis von rund 2,5 Milliarden Nutzern erreichen werden. Schätzungen zufolge nutzen in China mehr als eine Milliarde Menschen allein WeChat. Das Programm war ursprünglich als Messenger-Dienst gestartet. Inzwischen können Nutzer damit auch Taxis rufen, Freunden Geld schicken und in Geschäften bezahlen.
In Südostasien ist außerdem die App Grab aus Singapur populär, die Essenslieferungen, Fahrdienst-Vermittlungen und Finanzdienstleistungen ermöglicht. Der indische Mischkonzern Tata ist ebenfalls in diesem Segment aktiv. Mit seiner Anwendung Tata Neu können Nutzer von Kleidung bis zu Flugtickets alle möglichen Waren und Dienstleistungen kaufen.
Auch westliche Unternehmen wie PayPal, Uber oder Klarna wollen auf den Trend aufspringen und arbeiten an eigenen übergreifenden Angeboten. Elon Musk orientiert sich ebenfalls am Vorbild asiatischer Konzerne. Er hat angekündigt, seinen Twitter-Nachfolger X zu einer Super-App umzubauen. In den kommenden Monaten soll X als Zahlungsdienstleister zugelassen werden. Dann könnten sich die Nutzerinnen und Nutzer unter anderem gegenseitig Geld schicken. Auch das Thema Geldanlage könnte künftig dort eine Rolle spielen.
Tägliche Nutzung wird bis 2027 stark steigen
Lieferdienste, Reiseanbieter, urbane Mobilitäts-Apps, in nahezu allen Bereichen setzt früher oder später ein Konsolidierungstrend ein. Diese Entwicklung hin zu integrierten Plattformen, die ein umfassendes Spektrum an Funktionen anbieten, markiert einen signifikanten Wendepunkt im Verbraucherverhalten und lässt sich weltweit und in diversen Branchen beobachten.
Das Marktforschungsunternehmen Gartner prognostiziert Super-Apps daher ein kräftiges Wachstum und geht davon aus, dass bis 2027 die Hälfte der Weltbevölkerung täglich Programme dieser Art nutzen wird.
Was bedeutet das nun für Unternehmen weltweit? Zunächst einmal, dass „Zeit Geld ist“: Convenience stellt in den allermeisten Wirtschaftsräumen einen wachsenden Markt dar, der enorme Geschäftsmöglichkeiten bietet. Firmen sollten sich daher beeilen, um den Zug nicht zu verpassen und nicht gegen Grundbedürfnisse Ihrer Kunden zu arbeiten.
Europa mit Nachholbedarf
Vor allem in Europa wird das Thema bislang vergleichsweise stiefmütterlich behandelt, wenngleich es auch hierzulande positive Beispiele gibt. Wie etwa bei den Mobilitätsdiensten und Shared Mobility: Nach einer Phase der Nutzung von einer Vielzahl einzelner Apps für die Buchung von Taxis, Autos, Carsharing oder E-Scootern geht der Trend klar zu Convenience im Kontext übergreifender Services und Netzwerkeffekte. Hin zu Super-Apps mit einer Vielzahl an Anbietern und zusätzlichen nützlichen Funktionen, wie etwa bei den Marktführern Freenow (früher: MyTaxi) und Sixt.
Ähnlich hat sich Payback, das gleich mehrere hundert Partner in sein Loyalty-Programm integriert hat, als übergreifende Plattform etabliert, auf der Nutzer Punkte sammeln und einlösen und mit der Payback App auch mobil bezahlen können. Coupons sind immer dabei, Einkaufen und das Management der Treuepunkte wird für Nutzer um einiges vereinfacht. Durch die Bündelung von Angeboten mehrerer Anbieter in einer App sparen Kunden Zeit und werden dazu angeregt, die App häufiger und intensiver zu nutzen. Der regelmäßige Einsatz und der Mehrwert, den die App bietet, fördern wiederum die Loyalität gegenüber den beteiligten Marken. Sie profitieren auch von der großen Reichweite, die Apps wie die von Payback erzielen.
Und wohin geht die Entwicklung in Deutschland?
Auch deutsche Verbraucher möchten ihre Zeit aus den unterschiedlichsten Gründen immer besser nutzen: Eine alternde Bevölkerung verlangt nach einfach zu bedienenden Alltags-Anwendungen, Familien suchen Möglichkeiten, ihren komplexen Tagesablauf zu vereinfachen und die zunehmende Urbanisierung führt dazu, dass Menschen weltweit hektischer leben als je zuvor. Indem sie Komplexität reduzieren und ein nahtloses Nutzererlebnis schaffen, erfüllen Super-Apps genau dieses wachsende Bedürfnis in einer immer komplexer werdenden digitalen Welt.
Fazit
Angesichts der digitalen Transformation und des sich wandelnden Konsumentenverhaltens erfährt Convenience eine zunehmende Bedeutung. Eine breite Palette spezialisierter Einzel-Apps kann hier zwar Vielfalt bieten, wird langfristig jedoch den Bedürfnissen der Nutzer nach Einfachheit und Effizienz nicht gerecht. Die App-Spreu wird sich in den kommenden Jahren vom App-Weizen trennen.
Denn das Streben nach Vereinfachung und maximaler Bequemlichkeit treibt die Nachfrage nach Super-Apps voran, die viele Dienste in einer Anwendung zusammenführen. Unternehmen müssen auf diese Veränderungen reagieren, indem sie ihre Angebote anpassen und integrierte Lösungen entwickeln, um wettbewerbsfähig zu bleiben und den Anforderungen der Verbraucher gerecht zu werden.
Eine bedeutende Möglichkeit, das Nutzererlebnis zu vereinfachen und gleichzeitig die Kundenbindung zu stärken, stellen Super-Apps dar, die ein nahtloses und effizientes Erlebnis über verschiedene Dienste und Partner hinweg bieten. So gut manch einem Unternehmen Insellösungen gefallen, der Kunde ist im digital vernetzten Zeitalter wirklich König – nicht, weil Anbieter ihn angeblich so behandeln, sondern, weil er die Wahl hat und jetzt das kann, was er immer schon machen wollte.
Es lebe die Convenience Maximus als neuer Standard!
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