Mit der U-Bahn zu fahren – das ist doch nichts Besonderes. Zumindest nicht in einer Großstadt wie Frankfurt. 400.000 Menschen steigen hier täglich in eine U-Bahn, auf dem Weg zur Arbeit oder zur Schule, ins Theater, Museum oder Kino. In der Bahn stehen oder sitzen sie im Gespräch oder den Blick schweigend aufs Handy gerichtet, mit einem Buch oder einfach vor sich hinstarrend. Wer mag sich, während er durch den Untergrund braust, überlegen, was in diesem Moment direkt über ihm geschieht? Wo genau er gerade entlangfährt? Und umgekehrt: Wer grübelt an der frischen Luft darüber nach, wie viele Kubikmeter Hohlraum sich unter seinen Füßen befinden?
Mehrdimensionales Denken kann spannend sein – wie es überhaupt ein Gewinn ist, einmal die Perspektive zu wechseln und unter die Oberfläche der Dinge zu blicken. Also kann U-Bahn-Fahren etwas Besonderes sein? Die Antwort von Sören Appuhn klingt ernüchternd: „Frankfurt hat überhaupt keine echte U-Bahn. Es ist eine Stadtbahn, denn sie hat Schnittpunkte mit dem Straßenverkehr.“ Dieses Eingeständnis hält den 57 Jahre alten Gästeführer jedoch nicht davon ab, regelmäßig „Zeitreisen mit der Frankfurter U-Bahn“ zu unternehmen.
Zigmal hat er schon Gruppen zu der Stelle geführt, an der vor 50 Jahren der erste Spatenstich für den Bau des unterirdischen Schienennetzes erfolgte. Wer den richtigen Winkel findet, kann auf der dunklen Tafel am nördlichen Ende der B-Ebene der Station „Miquel-/Adickesallee“ Folgendes entziffern: „Hier haben wir am 28. Juni 1963 zum Nutzen der Stadt Frankfurt am Main und ihrer Bürger und in der Erwartung des weiteren Aufbaues in gesichertem Frieden und geordneter Freiheit mit dem Bau der unterirdischen Strecken der Frankfurter Stadtbahn begonnen.“ Der Verweis auf Frieden und Freiheit gewinnt an Bedeutung, wenn man sich vergegenwärtigt, dass damals erst 18 Jahre seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges vergangen waren. Zum „Aufbau“ habe, so Appuhn, in Frankfurt unter anderem gehört, die anschwellenden Verkehrsströme zu bewältigen.
„Alles sollte unter die Erde, sogar der Alleenring“
Deshalb sei die Untertunnelung hier bereits asphaltiert worden. Ein Stück dieses unterirdischen Straßenbelags ist – in dem von der Gedenktafel aus gen Süden führenden Tunnel – noch heute zu sehen.
Das unterirdische Frankfurt
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Fünf Orte im Untergrund
Auch die Straßenbahnen sollten von der Oberfläche verschwinden. „Wenn man in einer U-Bahn Richtung Südbahnhof von der Station Hauptwache aus im Geist bis zehn zählt“, berichtet Appuhn, „sieht man auf der rechten Seite schemenhaft eine Tunnelöffnung, Weichen und ein Stück Schienen: die Stelle, an der einmal die Straßenbahn unter dem Goetheplatz abzweigte.“ Die Idee, den gesamten Verkehr in den Untergrund zu verlagern, sei aus Kostengründen später aufgegeben worden.
Regelmäßig fragt Appuhn die Teilnehmer seiner „Zeitreise“-Führung beim nächsten Stopp unter dem Schweizer Platz, woran der Anblick der von dem Architekten Willy Orth gestalteten und 1984 eröffneten Station erinnere. Die Antwort laute „kathedralenhaft“ – wegen der Säulen und Bögen, die an ein Kirchenschiff denken lassen.
Kasematten wurden 2009 bei Bauarbeiten entdeckt
Dass die Untertunnelung des Mains mit im Bergbau üblichen Techniken, etwa dem zeitweiligen Einfrieren des umgebenden Erdreichs, glücklich verlaufen ist, verdankt Frankfurt unter anderem Sankt Barbara. Die Schutzpatronin der Bergleute hat denn auch in dem 111 Stufen tief liegenden U-Bahnhof „Schweizer Platz“ eine Ehrenloge erhalten: Am nördlichen Ende der östlichen Tunnelröhre schaut sie aus einer kleinen Vitrine von der Wand herab. Umrandet ist die Heilige von Vornamen wie Frolinde, Roselinde und Liesel. Sie gehören den Tunnelpatinnen – der damaligen Stadtverordnetenvorsteherin Frolinde Balser, der Frau des damaligen Oberbürgermeisters Rudi Arndt und der legendären Volksschauspielerin Liesel Christ.