Über Nancy Faeser und Arne Schönbohm gibt es zwei Geschichten. Monatelang hatte die erste Konjunktur. Es ist die Geschichte eines Cybersicherheitschefs, der selbst zum Sicherheitsrisiko geworden ist und daher gehen musste. In den vergangenen Monaten dominierte die andere Erzählung. Sie handelt von einer Ministerin ohne Kompass, die sich in ihren Personalentscheidungen von einer Satire-Sendung treiben ließ, letztlich sogar den Verfassungsschutz gegen die eigenen Leute einsetzte.
Das ist Politik als Kriminalroman. Spannend zu lesen, auch unterhaltsam. Und ohne den Anspruch, die Wirklichkeit abzubilden. Die ist komplizierter. Täter sind auch Opfer, die Guten gibt es nicht, alle sind irgendwie Verlierer. Vom Ende her betrachtet ist der Fall Schönbohm höchst erstaunlich: Der ehemalige Präsident einer nachgeordneten Behörde rüttelt die Republik auf. Es lohnt sich nachzuzeichnen, wie es so weit kommen konnte.
Im vergangenen Oktober hat der Satiriker Jan Böhmermann Schönbohm eine Sendung gewidmet. Die meisten Zuschauer haben damals zum ersten Mal vom Präsidenten des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) gehört. Doch besonders investigativ war Böhmermann gar nicht. In Fachkreisen waren die Teile der Sendung, die sich an Fakten orientieren, bekannt. Nicht mal die Schmähung „Cyberclown“ hat sich Böhmermann selbst ausgedacht. Sie stammt aus dem Jahr 2016, als Schönbohm zum BSI-Präsidenten ernannt wurde. Die Verteidiger Schönbohms klingen heute so, als sei er der ideale Mann für diesen Posten gewesen, die Stimmung damals war anders. Schönbohm stand nicht oben auf der Liste des damaligen Innenministers Thomas de Mazière. Doch für Cyberexperten ist der öffentliche Dienst nicht besonders attraktiv, und so kam Schönbohm doch zum Zug.
Schönbohm hatte den Vereinsvorsitz bereits übergeben
Seine Ernennung wurde heftig kritisiert. Bei linken Politikern hatte das möglicherweise auch mit seinem CDU-Parteibuch zu tun, aber die Skepsis in der Fachcommunity fußte auf Zweifeln an seiner fachlichen Eignung. Schönbohm ist nicht Informatiker oder Mathematiker, sondern ein Betriebswirt, der sich zuvor als Lobbyist betätigt hatte. 2012 hatte er den Verein „Cyber-Sicherheitsrat Deutschland“ gegründet, ein Netzwerk für IT-Unternehmen und Institutionen. Wegen des Namens gab es Ärger mit dem Bundesinnenministerium. „Cyber-Sicherheitsrat Deutschland“ klingt nicht nach einem privaten Verein, sondern nach einer staatlichen Institution – zumal wenn, wie öfter, der Zusatz e.V. weggelassen wurde. Tatsächlich gibt es seit 2011 einen Nationalen Cyber-Sicherheitsrat der Bundesregierung.
Die Gerüchte über Kontakte des Vereins zu russischen Geheimdiensten, die Böhmermann ebenfalls aufgriff, kamen erst auf, als Schönbohm den Vereinsvorsitz an Hans-Wilhelm Dünn übergeben hatte. 2019 nahm Dünn an einer internationalen Konferenz in Garmisch-Partenkirchen teil, die nach Berichten der „Zeit“ von russischen Diensten genutzt wurde, um Kontakte zu vertiefen. Dünns Verein unterzeichnete auf der Konferenz zusammen mit einem russischen Verein eine gemeinsame Absichtserklärung über die friedliche Nutzung von Informationstechnologie. Schönbohm hatte damit nichts mehr zu tun. Dass er mit Dünn gut bekannt ist, begründet keinen Verdacht. Im vergangenen September erschien er dann aber zur Feier des zehnjährigen Jubiläums des Vereins. Es gab freundliche Worte auf Twitter und gemeinsame Bilder. Den Auftritt hatte Schönbohm sich aber vom zuständigen Staatssekretär im Bundesinnenministerium genehmigen lassen.
Das Verhältnis zwischen Schönbohm und dem Ministerium, das die Fachaufsicht über seine Behörde führt, war schon angeschlagen, bevor Faeser ins Amt kam. Es gab immer mal wieder Konflikte. Mal waren es Probleme mit der Pressearbeit, bis Schönbohm die Weisung bekam, alle Interviews vor der Freigabe dem Ministerium vorzulegen. Mal kam raus, dass er die Weichen für einen BSI-Standort in Saarbrücken schon gestellt hatte, obwohl der damalige Innenminister Horst Seehofer (CSU) eine andere Stadt im Sinn hatte. Im Ministerium geht das Gerücht um, dass damals ein Eintrag in Schönbohms Personalakte im Gespräch gewesen sei. Seehofer habe das dann aber doch nicht gewollt. Als Faeser ein paar Tage nach der Böhmermann-Sendung davon sprach, dass das Vertrauen in Schönbohm beschädigt sei, lästerten Beamte, dass dieser Zustand doch schon Jahre andauere.