Zu wenig Höhe am Netz, zu geringe Durchschlagskraft im Angriff, kein Killerinstinkt bei entscheidenden Punkten und viel zu viele Eigenfehler. Die deutschen Volleyball-Frauen erleben bei der Heim-EM in Düsseldorf eine frustrierende Phase. Nach zwei unerwarteten Niederlagen gegen Schweden (1:3) und Tschechien (2:3) steht zum Abschluss der Vorrunde an diesem Donnerstag (20 Uhr, live auf Sportdeutschland.TV) noch das Duell gegen die Weltranglisten-Ersten und Nations-League-Sieger aus der Türkei auf dem Spielplan. „Wir versuchen, gut zu spielen“, kündigte Bundestrainer Vital Heynen an: „Aber gewinnen ist unmöglich.“
Eine solch schonungslose Chanceneinschätzung ist eher selten, aber der international renommierte Belgier Heynen, unter anderem Weltmeister mit Polens Herren, sieht keinen Grund für Schönfärberei. Nach der erfolgreich verlaufenen Nations League, bei der seine Frauen ins Viertelfinale einzogen, hatte Heynen bei der Europameisterschaft vier Siege in den ersten vier Spielen gefordert – nun waren es zwei. Fürs Achtelfinale in Brüssel qualifizierten sie sich zwar dennoch, müssen sich dort aber nun mit einem schweren Gegner wie Weltmeister Serbien oder Polen messen.
Der verletzungsbedingte Ausfall der Spielerin Hanna Orthmann im ersten Spiel gegen Griechenland (3:0) hat Heynens Spielsystem zum Wanken gebracht. Zwar konnten ihre Teamkolleginnen die zweite Partie gegen Aserbaidschan (3:1), die unter dem Motto „Schmettern für Hanna“ stand, noch siegreich gestalten, doch danach machte sich das dünne Personaltableau bemerkbar. Die 24-Jährige Orthmann ist die Einzige im Team, die auf der Diagonalposition den Ansprüchen genügt.
Die Diagonale gilt als Königinnenposition im Volleyball. Sie ist von jeglichen Defensivaufgaben befreit und nur fürs offensive Spiel zuständig. Wie wertvoll eine solche Angreiferin sein kann, zeigte die Schwedin Isabelle Haak, die zum Sieg gegen Deutschland 31 Punkte beisteuerte. Im deutschen Team fehlt eine solche Sieggarantin, nachdem die langjährigen Stars Margareta Kozuch und Louisa Lippmann an den Beach wechselten und die designierte Nachfolgerin Kimberly Drewniok überraschend ihre Karriere im Nationalteam beendete.
Die in ihrer westfälischen Heimat beim USC Münster ausgebildete Hanna Orthmann ist schon mit 19 Jahren nach Italien gezogen, um in Monza auf höchstem Niveau zu spielen. Zuletzt spielte sie für ein Jahr in der starken türkischen Liga, ehe sie zurück nach Italien wechselte. Ihr neuer Klub Igor Novara verbreitete nun die Nachricht, dass sich seine „Attaccante tedesco“ einen Kreuzband- und Meniskusriss im linken Knie zugezogen hat. Sie wird monatelang ausfallen. „Lass niemals ein Stolpern auf dem Weg das Ende der Reise sein“, postete Orthmann selbst tapfer auf Instagram.
„Kann’s kaum erwarten, dich wieder spielen zu sehen“, schrieb Außenangreiferin Antonia Stautz ihrer Mitspielerin. Stautz versucht, bei der EM gemeinsam mit Lena Stigrot und Lina Alsmeier Orthmanns Ausfall zu kompensieren. Doch der Ertrag war bislang gering.