Die kunsthistorische Überlieferung ist bisweilen Produkt von Zufällen. Zugleich tragen Zufälle zur Korrektur des Kanons bei: Im Mai 2014 sah Achim Stiegel, Kurator der Möbelsammlung des Berliner Kunstgewerbemuseums, im Museum „Legion of Honor“ in San Francisco einen herausragenden Schreibtisch aus dem achtzehnten Jahrhundert. Auf den ersten Blick offenbarte das Möbel seine Eigenständigkeit, aber auch seine Ebenbürtigkeit mit den Meisterwerken der Zeit. Vergleiche mit den Ebenisten Ludwigs XV. wie Jean-François Oeben oder Johann Heinrich Riesener drängten sich auf, doch führte die Spur des Tisches an den Hof von Madrid.
2021 gelang dem Kunstgewerbemuseum dank zahlreicher Förderer der Ankauf eines fast noch exquisiteren Zylinderbureaus aus derselben Werkstatt. Eine Ausstellung und eine internationale Tagung ziehen nun die Bilanz einer fast zehnjährigen Recherche zwischen Berlin und Madrid: Die Geschichte des europäischen Luxusmöbelbaus ist um ein gehaltvolles Kapitel reicher. Wie viele Kunsttischler des Ancien Régime stammte der zu Unrecht vergessene Meister aus dem deutschsprachigen Raum: José Canops wurde als Joseph Cnops im Herzogtum Limburg, in der Nähe von Aachen geboren. Bereits in jungen Jahren führte ihn seine Karriere über die hoch spezialisierten Werkstätten im Pariser Fauburg Saint-Antoine an den spanischen Hof. Dort wirkte ein kunstsinniger Regent im Sinn des aufgeklärten Absolutismus: Schon als König von Neapel und Sizilien hatte Karl III. die gebildete Welt mit den Grabungen in Pompeji und Herculaneum in Atem gehalten. Als er 1759 die Regierung in Spanien übernahm, setzte er seinen Ehrgeiz in die Vollendung des königlichen Palastes, an dem seit 1738 gebaut wurde.