Wenn man in Sarajevo in den Zug steigt, wenn man mit diesem – so steht das ganz genau auf dem Ticket – 77 Kilometer entlang der Bosna fährt, wenn man in Zenica aus dem Zug steigt, wenn man an der Tankstelle Energopetrol die Straßenseite wechselt, wenn man dem Bulevar Kulina bana folgt, dann sieht man das Stadion, in dem einige der größten Fußballspiele in der Geschichte Bosnien-Hercegovinas gespielt worden sind: das Stadion Bilino Polje.
Dort spielte die Männernationalmannschaft am 24. April 1996, als sie das erste Mal seit der Unabhängigkeitserklärung des Staates ein Match auf bosnischem Boden austrug. Dort spielte sie 2012 und 2013, als sie sich das erste Mal für eine Weltmeisterschaft qualifizierte. Und dort spielt sie auch an diesem Freitagabend, als sie das erste Mal in einem Punktspiel gegen Deutschland antritt – auch wenn die 1:2-Niederlage dann doch eher als Fußnote in die Fußballgeschichte des Landes eingehen wird, weil es um Nations League geht.
Verblichene Sitzschalen, verrostete Eisentürme
Wenn man durch eine Seitentreppe ins Bilino Polje kommt, sieht man, dass es eines der Stadien ist, in denen die Spieler den Ball auf die Straße schießen können. Und dann sind da all die anderen schönen Details. Die Sitzschalen, auf denen viele der Zuschauerinnen und Zuschauer schon vor dem Spiel stehen.
Oder der Eisenturm, auf den der Mann klettern muss, der das Spiel fürs Fernsehen filmt. Und auch wenn das Flutlicht sichtbar macht, dass die Sitzschalen schon verbleicht sind und der Eisenturm schon verrostet ist, spürt man einfach, dass man in diesem Stadion einen sehr schönen Fußballabend erleben kann.
Es soll gleich geschildert werden, was an diesem Freitag dann auf dem Spielfeld passiert, wo Deutschland erfolgreich bleibt, doch muss es schnell darum gehen, wie dieses Stadion dem deutschen Publikum präsentiert worden ist.
Schon am Donnerstagabend veröffentlichte der Sender RTL, der das Spiel überträgt, unter der Überschrift „So duschen die DFB-Stars“ auf seiner Website ein Video. Darin sieht man, wie ein RTL-Reporter in der Mannschaftskabine des Stadions erst auf einer, wie er sagt, „herkömmlichen“ Holzbank sitzt und danach die Dusche inspiziert.
Er dreht an einem Wasserhahn und hält seine Hand unter den Wasserstrahl, weil er schauen will, „ob das Wasser tatsächlich dann auch warm wird“. Er wartet. „Am Anfang noch ein bissel kalt, aber es wird so langsam dann doch warm.“ Das sagenhafte Ergebnis dieser sagenhaften RTL-Recherche: In Bosnien-Hercegovina gibt’s warmes Wasser!
Wer sich nicht für die Beschaffenheit der Sitzbänke und die Wassertemperatur der Duschen interessiert – darunter übrigens auch der Bundestrainer und seine Mannschaft (am Donnerstag sagte Julian Nagelsmann: „Wir haben kein Problem, dass die Kabine ein bisschen kleiner ist“) –, sondern für das Spiel, der erlebt dann auch einen schönen Abend.
Wirtz senstationell, Undav mühelos
Weil die Stimmung mit mehr als 10.000 Menschen im Stadion gut ist. Weil die deutsche Mannschaft zumindest zeitweise daran erinnert, dass sie selbst in neuer Konstellation ein Stimmungskiller sein kann. Und weil ein Stürmer aus Bosnien, den man auch aus der Bundesliga kennt, dafür sorgt, dass die Stimmung dann doch wieder gut wird.
Im Bilino Polje stellt der Bundestrainer zwei Fußballer in seine Startformation, die an diesem Abend das erste Mal für Deutschland spielen dürfen: Den Torhüter Alexander Nübel aus Stuttgart und den Stürmer Tim Kleindienst aus Mönchengladbach. Doch für den ersten Höhepunkt des Spiels, der dann auch der Höhepunkt bleiben wird, sorgt einer, der das auch sonst oft macht: Florian Wirtz.
Als Robert Andrich den Ball in der 29. Minute in den Strafraum lupft, sprintet Wirtz im richtigen Moment los und legt den Ball dann mit einer sensationellen Bewegung gegen seine Laufrichtung zurück, sodass Deniz Undav ihn ziemlich mühelos ins Tor schießen kann. Dann, in der 35. und 36. Minute, spielen sich die Szenen ab, die schlecht für die Stimmung sind. Weil Ermedin Demirović den Ball auf der einen Seite an die Latte des deutschen Tores und Undav auf der anderen Seite ins Tor schießt, steht es 2:0. Das Stadion schweigt.
Džeko macht die Bosnier froh
In der 54. Minute spricht es dann allerdings wieder, weil der Mann den Ball erobert, den sie in Bosnien-Hercegovina verehren. So singen die Menschen den Namen von Edin Džeko, dem Stürmer, der mittlerweile für Fenerbahce Istanbul spielt. Er ist immer noch gut, aber nicht mehr gut und schnell genug, um sich Angriff für Angriff gegen Abwehrspieler der Kategorie von Antonio Rüdiger oder Jonathan Tah durchsetzen zu können.
Doch in der 70. Minute, als sich fast alle Bosnier für einen Eckball in den Fünfmeterraum drängeln, schafft er es. Seinen Kopfball aus kurzer Entfernung kann Nübel nicht abwehren. Nur noch 1:2 – es wird spannend, da die Deutschen nach ihrer Führung nur noch Abseitstore – wenn auch knappe – geschossen haben. Der Stadionsprecher sagt den Namen Džekos daraufhin nicht dreimal, sondern fünfmal an. Die Menschen stehen wieder auf den Sitzschalen. Und bleiben dort, auch wenn sich an dem Spielstand nichts mehr ändert.
Am Montagabend spielt die deutsche Nationalmannschaft in der Arena in München ihr nächstes Spiel in der Nations League gegen die Niederlande (20.45 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Nations League und im ZDF). Und es ist fast schon schade, dass nicht RTL, sondern das ZDF dieses Spiel übertragen darf, weil man schon gerne wissen würde, ob ein RTL-Reporter es wagen würde, in die Dusche zu spazieren und zu prüfen, wie gut der Wasserdruck dort wirklich ist.