Er suchte wahllos, ohne Pause. Er lag fast ständig im Internet auf der Lauer, um ein Mädchen oder eine junge Frau zu finden, die sich auf den Kontakt mit ihm einließ. Das wird im Prozess gegen Jan P. von Verhandlungstag zu Verhandlungstag immer deutlicher.
Er ist angeklagt, die 14 Jahre alte Ayleen am 21. Juli 2022 aus ihrer südbadischen Heimat verschleppt und versucht zu haben, sie zu vergewaltigen. Als dies misslang, habe er sie ermordet, wirft ihm die Anklage vor. P. hat nur gestanden, das Mädchen während eines Streits erwürgt zu haben. Er legte den Leichnam in einen kleinen See in der Wetterau, eine Woche später wurde der Körper entdeckt.
Am zehnten Verhandlungstag vor der Schwurgerichtskammer des Gießener Landgerichts kam vergleichsweise ein Randaspekt zur Sprache, aber er verdeutlichte die Masche, die zu der Tragödie für Ayleen führte. Der zweite Anklagepunkt gegen Jan P. lautet auf Beschaffung kinderpornographischer Inhalte. Er ist die Konsequenz aus einem Chat mit einer Dreizehnjährigen rund einen Monat vor dem Verbrechen an Ayleen.
Auf dem beschlagnahmten Handy des Angeklagten konnte auch dieser intensive, stark sexuell orientierte, von dem damals Neunundzwanzigjährigen dominierte Kontakt rekonstruiert werden. Er verlief nach einem ganz ähnlichen Muster wie im Fall von Ayleen und wie vermutlich bei mehreren Dutzend anderer Begegnungen des Sicherheitsmanns im virtuellen Raum.
Freizügige Fotos verlangt
Der Schülerin blieb erspart, als Zeugin vor Gericht erscheinen zu müssen; auch die Verteidigung stimmte dem zu. Am Dienstag schaute sich die Kammer stattdessen das Video einer Vernehmung des Mädchens durch zwei Kripobeamtinnen an. Eine solche Verfahrensweise lässt die Strafprozessordnung seit einigen Jahren zu, um vor allem jungen Opfern von Sexual- und Gewaltdelikten zu ersparen, noch einmal mit den Tätern konfrontiert zu werden.
Auch wenn Zuschauer und Medienvertreter im Gerichtssaal das Bild nicht sehen konnten, der Ton reichte aus, um die Pein der Schülerin zu spüren, als sie die Telefonate mit P., die mit ihm ausgetauschten Bilder und Clips rekapitulieren muss. Die inzwischen Vierzehnjährige erinnert sich nicht mehr genau, auf welche Weise sie an P. geraten war – über Snapchat, Whatsapp oder eine andere Plattform, vielleicht sei sie „auf Empfehlung geaddet“ worden, sagt sie.
Das Mädchen, inzwischen vom Alter kein Kind mehr, gesteht ein, P. habe verlangt, dass es auch freizügige Fotos von sich schicke. Seinem Wunsch, dass sie ihn treffe, am besten gleich zu ihm ziehe, habe sie nur zugestimmt, damit er damit aufhöre. Ernsthaft überlegt habe sie das nie: „Das war doch jemand aus dem Internet.“
Staatsanwalt: Tatbestand der Kinderpornografie
Dennoch ging sie auf sein Spiel ein. Sie hatte ihm erzählt, wie schwierig ihr Verhältnis zu ihren Eltern sei, die sich getrennt hätten. P. ließ das Kind einen Fragebogen ausfüllen, in dem neben Körpermaßen und Alter auch sexuelle Vorlieben abgefragt wurden. Anschließend schickte er Videos, die zeigen, wie er sich selbst befriedigte, und verlangte Gleiches im Gegenzug. Aus Sicht der Strafverfolger hat er damit den Tatbestand der Kinderpornographie verwirklicht.
Anfangs habe sie gedacht, sie chatte mit einem „normalen Jungen“. Dann aber habe sie sein Gesicht gesehen, und es sei ihr klar geworden, wie eklig das alles sei, berichtet das Mädchen. Es blockierte den Kontakt auf allen Kanälen und reagierte auch nicht mehr, als P. per SMS ankündigte, er werde sich umbringen, falls es nichts mehr mit ihm zu tun haben wolle. Ob ihr inzwischen klar geworden sei, in welcher Gefahr sie geschwebt habe, wollen die Polizistinnen am Ende der Vernehmung wissen. Sie schäme sich und fühle sich schuldig, ist die Antwort.
Auf ähnliche Weise hatte P. den Ermittlungen zufolge einen Monat später Ayleen unter Druck gesetzt. Sie war, wohl auch wegen der Drohung, er werde ihrem Vater zeigen, welche Bilder sie ihm geschickt habe, an jenem Tag im Sommer 2022 in sein Auto gestiegen.
Jan P. will seine Aussage zu Beginn des Prozesses, er habe an Ayleen keine sexuellen Handlungen vorgenommen, nicht ergänzen. Er verharrt auf der Anklagebank in der Haltung des stillen, etwas müden, meist aber interessierten Beobachters. Das Gericht will bis Ende September zu einem Urteil kommen.