Über den Jahreswechsel sind zwei aufschlussreiche Interviews erschienen. Unmittelbar vor Silvester setzte sich der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz mit seinem Alter auseinander. Sollte er sich um die Kanzlerschaft bewerben und gewinnen, wäre er beim Amtsantritt 70 Jahre alt.
Dass die beiden Männer, die im Herbst mutmaßlich um das Präsidentenamt in den Vereinigten Staaten kämpfen werden, noch deutlich älter sind, nahm Merz nicht als willkommenes Argument, um sein eigenes Alter zu relativieren. Vielmehr sei es „ein warnender Hinweis“, dass es nicht selbstverständlich sei, in diesem Alter eine solche Position innezuhaben, sagte der CDU-Chef der Deutschen Presse-Agentur.
Es kam noch dicker. Carsten Linnemann, Generalsekretär der CDU, Merz-Vertrauter und nicht bekannt als Gründungsmitglied des Angela-Merkel-Fanclubs, äußerte den Wunsch, die ehemalige Bundeskanzlerin im Bundestagswahlkampf 2025 dabei zu haben. Im Gespräch mit dem „Stern“ sagte Linnemann: „Unter ihr wurde das Land gut regiert.“ Es sei wichtig, nicht mit der Vergangenheit zu brechen. Immerhin schob Linnemann nach, dass in der Ära Merkel Fehler gemacht worden seien, aus denen es zu lernen gelte.
Macht die CDU-Führung sich gerade klein? Will Merz etwa doch nicht Kanzlerkandidat werden? Im Gegenteil. Vielmehr sollen heikle Themen abgeräumt werden, die ihm im Wahlkampf hinderlich sein könnten. Der CDU-Vorsitzende, der Amerika gut kennt, kann leicht sehen, dass es vor allem seine 81 Jahre sind, die Joe Biden im Wege stehen im Bemühen, seinen Aufenthalt im Weißen Haus zu verlängern.
Merz ist zwar deutlich jünger und agiler als Biden. Und Bundeskanzler Olaf Scholz, mit dem ein Kandidat Merz es im kommenden Jahr mutmaßlich zu tun bekäme, ist nicht einmal drei Jahre jünger. Doch selbst wenn es für die SPD-Wahlkämpfer schwer würde, das Alter des CDU-Bewerbers offensiv zu thematisieren, so würde es Merz im Wege stehen. Nichts lässt sich ihm so leicht anhängen wie das Image des alten, weißen Mannes, noch dazu eines wohlhabenden, Stichwort Privatflugzeug.
Nicht einen, sondern gleich zwei
Schnell käme die Frage auf, ob die Union nicht einen jüngeren Herausforderer hat. Die Antwort kann Merz nicht gefallen, denn sie lautet: nicht einen, sondern gleich zwei. Der CSU-Vorsitzende Markus Söder ist mehr als elf Jahre jünger als Merz, Hendrik Wüst, der nordrhein-westfälische CDU-Landesvorsitzende und Ministerpräsident, annähernd zwanzig.
Söders Äußerungen zugunsten einer Kandidatur von Merz gelten so lange, bis er das Gegenteil sagt, weil er sich für den aussichtsreicheren Bewerber hält. Das weiß seit dem Unionswahlkampf 2021 jeder. Den heißen Atem von Wüst spürt Merz schon länger. Wann immer ein halbwegs prominenter CDU-Politiker sagt, Merz sei der richtige Kanzlerkandidat, kann man von zehn an rückwärts zählen. Spätestens bei acht weist Wüst darauf hin, dass die Landesvorsitzenden da ein Wort mitzureden hätten.
Sosehr sich viele CDU-Mitglieder und -Wähler darüber freuen, dass Merz der CDU wieder schärfere Konturen gibt und dies vor allem in der Migrationspolitik, so wissen die Parteistrategen doch, dass der Weg zum Kanzleramt zu einem Gutteil mit Merkel-Stimmen gepflastert werden muss. Merz braucht diejenigen, die CDU oder CSU seit 2005 viermal nur oder doch vor allem wegen Angela Merkel gewählt haben. Das wird noch schwieriger als die Sache mit dem Alter.
Streicheleinheiten für Merkel
Als Merz sich mit der Frage herumquälte, wie er vermeiden könne, seiner Erzrivalin Merkel zu dem Orden zu gratulieren, mit dem sie der sozialdemokratische Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ausgezeichnet hatte, bereitete Wüst schon die Ehrung Merkels mit dem nordrhein-westfälischen Staatspreis vor, Söder die mit dem Verdienstorden des Landes Bayern. Daher jetzt die Streicheleinheiten von Linnemann für Merkel.
Scholz hat gerade nicht viel zu lachen. Die Umfragewerte für ihn, für die SPD und auch für die drei Ampelparteien zusammengenommen sind so lausig, dass das großsprecherisch angekündigte sozialdemokratische Jahrzehnt bislang eher etwas für die Märchen- als für die Geschichtsbücher zu werden droht. Hatte sogar die Union im ersten Ampeljahr die Reaktion des Kanzlers auf den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine anerkannt, so hat sich die Koalition seither durch die Gefechte in den eigenen Reihen derart sturmreif geschossen, dass die CDU sich auf den Wahlkampf vorbereitet, vor allem für den Fall, dass doch schon vor dem Herbst 2025 gewählt wird.
Noch ist nicht abzusehen, ob Merz die K-Frage schnell und leidlich ruhig für sich entscheiden kann. Sollte es nicht gelingen, den inneren Frieden in der Union herzustellen, sollte sich 2021 wiederholen, könnte das der entscheidende Joker in Scholz’ schlechtem Blatt sein. Abermals.