Als Physiker mag Roland Busch Experimente. Und so hat er sich auch schon am Programmieren versucht – mit Unterstützung einer Künstlichen Intelligenz, wie der Siemens-Chef am Dienstag bei den „Wirtschaftsgesprächen am Main“ berichtete. Seine hauseigene IT-Sicherheitsabteilung sei über seine Versuche aber etwas beunruhigt gewesen, sagte der Konzernchef schmunzelnd.
Etwas mehr Risikofreude würde sich der Siemens-Vorstandschef schon bei der Digitalisierung wünschen – das wurde im Dialog zwischen Busch und F.A.Z.-Herausgeber Carsten Knop als Moderator der Veranstaltung deutlich. Die auf EU-Ebene beschlossenen Verordnungen zur Regulierung von KI-Anwendungen halte er „ganz ehrlich, für eine Katastrophe“, sagte Busch.
Aus seiner Sicht hätte es gereicht, klare Regeln für den Schutz von Urheberrechten und biometrischen Daten festzulegen, „aber ansonsten so viel wie möglich offenzuhalten und dann nachzuregulieren“. Stattdessen seien die Datenschutzbestimmungen so streng, dass die Medizintechnik-Sparte Siemens Healthineers medizinische Daten, obwohl anonymisiert, nur in den USA speichere und analysiere. „Hier in Deutschland müsste ich neben jeden KI-Experten einen Anwalt setzen“, sagte Busch.
Schafft die deutsche Industrie den Sprung?
Dennoch sieht der Manager in KI-Anwendungen große Chancen für die deutsche Wirtschaft. Zwar machen ChatGPT und andere sogenannte Large Language Models – das sind Künstliche Intelligenzen, die darauf angelegt sind, menschliche Sprache zu verstehen und zu generieren – derzeit vor allem als virtuelle Interviewpartner oder auch Songtexter von sich reden.
Doch nach Buschs Überzeugung wird am Ende „der Mehrwert von KI nicht darin liegen, dass sie uns einen tollen Brief schreibt“. Vielmehr könnten diese Programme eben auch dabei helfen, neue Software etwa für die Steuerung von Maschinen und ganzen Fabriken zu schreiben.
Die Vernetzung von Maschinen, auch Internet der Dinge genannt, sei ein ideales Spielfeld für „Firmen wie Siemens“, sagte Busch. Als gelungenes Beispiel nannte er die Digitalisierung der Zugsicherung im Frankfurter U-Bahn-System, mit der Siemens und die VGF eine schnellere Taktung der Bahnen ermöglicht hätten.
Generell bringe die deutsche Industrie für den Aufbau des Internets der Dinge eigentlich ideale Voraussetzungen mit – schließlich verfüge sie bereits über Daten aus vorhandenen Maschinen und Prozessen, die für eine intelligente Steuerung benötigt würden. „Man muss es halt nur machen.“
„Wir haben unser Energiesystem an die Wand gefahren“
Dass dies in der Praxis gar nicht so einfach sei, liege nicht allein an der Regulierung. Vielen deutschen Ingenieuren sei Software-Entwicklung noch fremd, meint Busch: „Das ist halt nicht unsere DNA.“ Das zeige sich in der Autoindustrie, die sich noch daran gewöhnen müsse, dass der Verkaufswert ihrer Fahrzeuge zunehmend von den damit verbundenen Software-Anwendungen abhänge, und „das gilt auch für uns“.
Siemens setze daher auf Zukäufe und Kooperationen: In den vergangenen 14 Jahren habe der Konzern 41 Akquisitionen im Bereich Software getätigt. Erst im Oktober unterzeichnete der Technologiekonzern eine Vereinbarung zur Übernahme von Altair Engineering, einem Anbieter von Software für industrielle Simulation.
Schon heute setzten die Münchener auf Simulationen in der virtuellen Welt, wenn sie beispielsweise ein neues Werk planten, berichtete Busch. „Wir simulieren es komplett durch, und dann bauen wir es real“, das vermindere die Bauzeit um ein bis zwei Jahre und die Energiekosten um mindestens 20 Prozent.
Für die Zukunft erwartet Busch, dass KI auch in der eigentlichen Fertigung eine Schlüsselrolle übernehmen wird. Die Automatisierung könne dadurch auf eine neue Stufe gehoben werden: „Vielleicht kommt irgendwann tatsächlich das dunkle Werk, wo Sie sagen: Da brauchen Sie keine Lichter mehr.“ Zwar werde man für die Steuerung solcher Fabriken noch Menschen brauchen, „aber deren Job wird komplett anders aussehen als heute“.
Siemens stockt in Frankfurt auf
Da allein im Frankfurter Werk von Siemens rund 2000 Menschen arbeiten, klingt diese Vision etwas beunruhigend. Doch angesichts des Arbeitskräftemangels werde Automatisierung immer wichtiger, sagte Busch. Für die Produktion in Frankfurt-Fechenheim, die auf ein weiteres Gelände am Osthafen erweitert werden soll, hat Siemens im Übrigen erst im Sommer eine Aufstockung der Belegschaft auf 2300 Beschäftigte bis 2027 angekündigt. Denn die Schaltanlagen, die Siemens hier herstellt, sind wegen des für die Energiewende nötigen Netzausbaus sehr gefragt.
Der Strombedarf, der durch die Elektrifizierung des Verkehrs, der Produktion und natürlich auch durch KI entsteht, erfüllt Busch aber auch mit Sorge. „Es wird einen Fight geben für grüne Elektronik“, sagte er. „Wir haben unser Energiesystem komplett an die Wand gefahren“, Atom- und Kohlestrom ließen sich nicht binnen zehn Jahren durch erneuerbare Energien ersetzen.
„Wenn wir sagen, Kohle wollen wir nicht und Atom nicht, dann muss man Gas-Peaker bauen“, Gaskraftwerke also, die einspringen, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Da der Bau solcher Reserve-Kraftwerke für Unternehmen nicht attraktiv sei, bedürfe es finanzieller Anreize.
Die „Wirtschaftsgespräche am Main“ sind eine Veranstaltung des Hotels Steigenberger Frankfurter Hof, der Wirtschaftsinitiative Frankfurt/Rhein-Main und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.