Herr Rasoulof, Sie haben mit „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ eine erschütternde Parabel über das Monströse im Menschen geschaffen, aber auch über Hoffnung. Was löste den Film aus, die „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung?
Es gab mehrere Auslöser. Seit ich eigene Filme inszeniere, stehe ich in Konflikt mit der iranischen Zensur. 2010 wurde ich zusammen mit Jafar Panahi beim Drehen verhaftet. Seitdem hatte ich regelmäßig mit dem Sicherheitsministerium zu tun, wurde vernommen und verhört. Und wollte herausfinden, wie diese Verhörer ticken, wie sie denken und warum sie psychologisch und intellektuell so drauf waren, dass sie sich einer Regierung so blind verschrieben. Man erahnt eine gewisse Normalität an ihnen, weiß aber, dass sie so willfährig sind, dass sie auf Befehl töten, ohne Nachfrage. Als ich 2022 in Haft war, trat mal ein Wärter an mich heran, schenkte mir einen Kuli und erzählte mir, wie unglücklich er sei. „Jeden Tag mache ich mir Vorwürfe, dass ich hier arbeite. Ich kann mir schon lange nicht mehr ins Gesicht sehen, und meine Kinder verachten mich dafür. Oft überlege ich, mich hier aufzuhängen.“ Das war der entscheidende Funken für diesen Film.
Warum waren Sie 2022 in Haft?
Ich wurde im Juli verhaftet, weil ich das Regime mit einem Kurzfilm über den Dichter Baktash verärgert hatte, der an Corona starb, weil er im Gefängnis nicht behandelt wurde. Beim Verhör war ich so aufgebracht, dass der Beamte mir ein neues Verfahren anhängte, wegen meiner Filmtexte und Social-Media-Posts. Daraufhin bekam ich Einzelhaft in einer Zelle, die so groß war wie ein Tisch.
Waren Sie noch in Haft, als im September 2022 die Proteste begannen?
Ja, ich war zu drei Jahren Haft verurteilt. Nach zwei Wochen kam ich in Gruppenhaft und traf dort Panahi, mit den anderen politischen Insassen waren wir eine „Clique“. Das ist wichtig, um ungebrochen da rauszukommen. Man macht Sport, liest gemeinsam, stellt ein aktives Tagesprogramm zusammen. Als die Mahsa-Amini-Bewegung losging, verfolgten wir alles.
Zugang zu Informationen hatten Sie also?
Ja, im allgemeinen Vollzug gab es einen Fernseher. Wir verfolgten alles, was täglich auf den Straßen passierte. Jeden Tag kamen mehr politische Gefangene dazu, durch die Demos, bis man sich gezwungen sah, wegen der Überfüllung eine Amnestie zu erlassen – und irgendwie sind Panahi und ich in dem Gewirr da auch freigelassen worden. Ich ahnte, dass das nicht lange andauern würde, weil das Urteil für die Social-Media-Akte noch ausstand. Zu Hause sah ich dann die vielen Augenzeugenvideos der Proteste, unterhielt mich mit den jungen Leuten: Sie wollten und konnten nicht mehr so weiterleben wie bisher. Ihnen war egal, ob sie bei den Demos geschlagen oder getötet wurden. Ich gebe zu, jeder war verblüfft, was da für eine Generation herangewachsen war. Verstärkt durch die Eindrücke der Wärter und Verhöre, die ich so lange studiert hatte, nahm die Geschichte dann Form an.
Dann schrieben Sie das Drehbuch unter immensem Zeitdruck, oder?
Ja, weil ich auf das nächste Gerichtsurteil gefasst war. In zwei, drei Monaten in Freiheit habe ich zwei Skripts geschrieben. Im Gefängnis hatte ich meine Gedanken schon geordnet, so konnte alles rasant vorangehen.
War es schwer, Schauspieler zu finden, die sich dem Risiko eines geheimen Filmprojekts aussetzen wollten?
Seit der „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung weigerten sich einige Schauspielerinnen, mit Kopftuch vor die Kamera zu treten. Dazu gehörten Soheila Golestani, die bei uns die Mutter spielt und auch mal in Haft war, und Setareh Maleki, die jüngere Tochter, die durch ein Video als Aktivistin bekannt geworden war, sowie Mahsa Rostami, die als Letzte zu uns stieß. Misagh Zareh, der Vater, dreht auch nur noch Underground-Projekte.
Für eine offizielle Genehmigung hätte das Skript der Zensurbehörde vorgelegt werden müssen. Wie gingen Sie den hochgefährlichen Dreh an?
Mein Plan sah vor, dass ich nicht am Drehort auftauche, sondern remote den Dreh überwache. Zwei Assistenten drehten für mich. Ich sah alles, was sie filmten, über einen Monitor, und war telefonisch mit ihnen verbunden. Manchmal war ich in der Nähe des Sets, etwa im selben Gebäude, aber in einer anderen Wohnung, manchmal weiter weg. Falls ich erkannt und verhaftet worden wäre, wollte ich keinen vom Cast und von der Crew mithineinziehen. Mit der räumlichen Trennung verschaffte ich ihnen Sicherheit. Ohne mich konnten sie sich aus jeder Situation herausreden. Die Crew verfügte auch über ein falsches Drehbuch mit einer anderen Story und hatte sich irgendwo Drehgenehmigungen ausgeliehen.
Sie sollen sogar mal aus dem Kofferraum eines Autos Regieanweisungen gegeben haben . . .
Auf den Straßen will man am wenigsten Aufmerksamkeit erregen. Unsere Story verlangte, dass die Darsteller draußen den strengen Hijab trugen. Daher war es unauffällig, sie öffentlich zu filmen. Die Passanten dachten, das sei etwas fürs Staats-TV, einige beschimpften uns sogar: „Wie unanständig und schäbig, dass ihr fürs öffentliche Fernsehen arbeitet! Ihr gebt euch Verbrechern hin!“ Die Schauspieler mussten einige Tiraden ertragen! (lacht)
Ich freute mich, dass niemand uns dessen verdächtigte, was wir wirklich taten: die Familiengeschichte eines Scharfrichters zu erzählen. Doch mitten im Dreh erreichte mich dann auch mein Urteil, von der letzten Akte, die sehr umfassend geworden war: Verbreitung von Propaganda, Verstoß gegen die nationale Sicherheit, außerdem waren Flaschen Alkohol bei mir gefunden worden. Das Urteil war acht Jahre Haft und dazu noch Peitschenhiebe. Mein Anwalt meinte, dass mir etwa zwei Monate bleiben würden, bis die Strafe vollstreckt würde.
Was two months enough to finish this film?
My production friends promised to finish in six weeks so we could have some breathing room. And that's exactly how it happened. Just before the end of filming, I was served with the final arrest warrant that ordered me to prison.
You had the material in the box at the end of March, but there was no editing yet. . .
Yes, yes! I had often worked with Andrew Bird in Hamburg. We emailed him the recordings from Iran – albeit in low resolution. He had the script, cut and edited the scenes, then sent them back, I reviewed and corrected them, sometimes he came up with better ideas. It was a perfect collaboration at a distance.
Was the eight-year prison sentence the deciding factor in your escape?
Yes, I told my people, “I don't know what's going to happen, but whether I'm alive or not, you have to finish this film.” Then I turned off the phone and threw it away. I only took a brand new cell phone with no SIM card, which was ready, and a backpack.
When exactly did you make the difficult decision to leave your homeland?
Even when I was in prison. I told myself I'd go if they wanted to detain me for a really long time. If I was a year old I wouldn't have had any problems, it would have been good for my health, I would have done a lot of exercise in prison and lost weight. I would have managed three years without leaving the country. But eight ruins you mentally and physically. That would also be too hard for my wife and daughter. When the verdict came, I did some soul searching and decided that I have too many stories in my heart that I need to tell that concern this historical time in which I live.
How did you escape Tehran?
A friend took me to a place where I stayed for two days. There we got me a secure SIM card – a used one from a stranger. I learned from fellow prisoners how to get across the state border – the blessing of imprisonment. I was alone for four days, then someone led me across the border into the neighboring country. My family had informed the German embassy there that I was on the way. I had to go to the consulate and give fingerprints for identification, which were available to the authorities.
Why don't you explicitly say which country it is?
That's what the German embassy asked me to do. I also changed my location in the neighboring country until the administrative matter was taken care of. Then I got the call asking if I could come, with a backpack. I was driven to the airport and put on a plane to Düsseldorf. I landed there around 8 p.m., got on the train and was in Hamburg at three in the morning. In total, my escape lasted 28 days, from the day I left the apartment in Tehran until I arrived here on May 9th.
You had a home in Hamburg-Eimsbüttel since 2012 and your daughter went to school here.
I was in Andrew's studio at nine in the morning to finish the film. When I was in the neighboring country, I was able to continue working with Andrew by telephone.
Her “Fig Tree” made it to Cannes. Festival boss Frémaux nominated him, probably to protect her while she was on the run. The film “only” won the special jury prize, and many critics still complain to this day that it deserved the Palme d’Or instead of “Anora”, the story of a prostitute. Were you disappointed?
At least we received a palm tree. It was the film that received the most acclaim. It was important to me that he even existed. That he was able to cope under these circumstances. Every day I feared: “Today they will get us.”
Now your film is entering the Oscar race for Germany; it was produced mainly with German money. This decision was controversial.
That is also unusual. The Oscar committee is giving the concept of a film's origin a new meaning: it no longer has anything to do with geography, the dust of a country, the blood that flows in it. This election had a different message for me: Germany has become a home for all stories that involve the violation of basic human rights. This is an encouragement to filmmakers around the world who live in a similar situation to me: there are open doors.
In Cannes you said that you had left geographical Iran, not cultural Iran.
I'll never leave that either. I had the impression that my film was a proxy: that its nomination would honor all the people of Iran who are fighting for freedom. For me that was a signal of solidarity.